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13.10.2018

Marie Davidson: Working Class Woman (Albumkritik)

 

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Marie Davidson: Working Class Woman (Ninja Tune)

 

 

Wie alle wissen, die sich die bisherigen zwei Staffeln von The Handmaid’s Tale zu Gemüte geführt haben, kann dystopische Kunst in selbst zugefügte Bestrafung ausarten. In jüngster Zeit wird sehr viel mühsam trostlose Musik veröffentlicht, viel davon beeindruckend feindselig, wenn auch nicht gerade dazu angetan, öfter oder gar regelmäßig gehört zu werden. Zwei vor kurzem erschienene Alben haben gezeigt, wie man zeitgenössische Schrecken effektiver verarbeiten kann: Lows Double Negative dämpft den Schrecken mit Empathie, während das vierte Soloalbum der Produzentin Marie Davidson aus Quebec den schwärzesten Humor einsetzt, um ihren fiesen, gequälten Techno mit seiner pointierten Clubbing-Kritik zu untergraben.

 

Working Class Woman sollte ursprünglich Bullshit Threshold heißen, und es ist schwer festzustellen, ob Davidsons hoch oder niedrig ist. „Your Biggest Fan“, der erste Track des neuen Werks, deutet eher auf letzteres hin. Über Bassklängen, die laut genug sind, um Trommelfelle dazu zu bringen, sich wie Münzen zu drehen, schildert sie uns in ihrem hochnäsig unbeeindruckten französisch-kanadischen Akzent die ärgerlichen Dinge, die Leute nach Gigs zu ihr sagen (von “Do you have drugs?” bis zu “Who the fuck are you?”). Ihr Missmut über die vielen Heuchler steigert sich auf „Work It“ noch deutlich, einem Nachfolger von Britney Spears„Work Bitch“ und Robyns „Don’t Fucking Tell Me What to Do“, der zu seiner eigenen Serie von Trainingseinheiten für die unheilbar Überambitionierten inspirieren sollte.“Is sweat dripping down your balls?” fragt sie mit genug lasziver Drohung, um einem Zen-Meister den Schweiß auf die Stirn zu treiben.

 

Es ist grausam komisch, allerdings am meisten, wenn Davidson ihren Blick nach innen wendet und eine Frau porträtiert, die unter ihren eigenen hohen Ansprüchen leidet. „The Tunnel“ ist ein Wunder an Geräuschen, wobei Davidsons tropfende Synthesizer, hektisches Atmen und hallender Krach die “deepest of darkness” heraufbeschwören, auf die sie zugreift, um “find myself again”,während sie über ihre Unfähigkeit, richtige Liebe zu erkennen (“ know real love”), spottet. Doch nach dem säuerlichen Adrenalin von „Lara“ und den Sirenen von „Burn Me“ ist es der relativ konventionelle Club-Track „So Right“, der sich als der verstörendste Moment des Albums entpuppt. Davidson unterwirft sich den vorgeschriebenen Vergnügen des Dancefloor - “he’s got me feeling so right” – und bietet eine auf träge Weise hübsche Melodie, die die beunruhigende Leichtigkeit deutlich macht, mit der die Tanzmusik die Identität einer Person zusammenfassen und mit Beschlag belegen kann. Das einzigartige, witzige Working Class Woman existiert an jenem Punkt, an dem intensiver, gespannter Fokus zu totalem Nihilismus wird, und schildert Davidsons Kampf gegen die Einheitlich und den Preis, der damit verbunden ist.

 

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