Das Neueste

David Bowie: The Next Day (Albumkritik)

 

david bowie the next day 01 David Bowie

The Next Day

(Iso/RCA)

starslarge_3

Der Gedanke an ihre eigene Sterblichkeit bewirkt bei manchen Menschen Seltsames. Verdiente ältere Künstler veröffentlichen mitunter Alben wie Johnny Cashs American Recordings Suite – eine letzte große Reihe von Werken (oder auch nur ein Werk), die rückwirkend allem, was davor kam, größere Bedeutung verleiht.

Auch in seiner siebenten Lebensdekade bleibt David Bowie anders als all die anderen alten Kerle. Der Tod schleicht auf seinem 24. Album herum – einem Album, das in einer Heimlichkeit aufgenommen wurde, die an das Grab erinnert. Aber es ist nicht notwendigerweise Bowies eigener Tod. The Next Day ist vollgepackt mit mörderischen Tyrannen, künftigen Schulmassakern und Scharfschützen, die sich wünschen, sie wären tot. Seine Killerzeile hat durchaus etwas Autobiographisches, und zwar von einem Sänger, dessen Werk nur sehr selten einen Selbstbezug hat, zumindest im klagenden Sinn. „I stumble to the graveyard and I lay down by my parents“, singt Bowie auf I'd Rather Be High, „Whisper: 'Just remember, duckies, everybody gets got.'"

Ein Herzinfarkt verkürzte im Jahre 2004 Bowies bisher letzte Tour. Nachrufe wurden von da an bei vielen großen Zeitungen bereitgehalten, während der einst ausschweifende Popstar, der einst die Auszehrung zu einem romantischen Tropus umfunktioniert hatte, zu einem Beinahe-Einsiedler wurde. Wäre das brauchbare Reality aus dem Jahre 2003 Bowies letztes Wort gewesen, hätte sein Vermächtnis als unvergleichlicher britischer Kunstschul-Popstar keinen Schaden genommen. Hätte es eine allerletzte Single gegeben – zum Beispiel „Where Are We Now“ -, ihr bebender ton und rheumatische Blicke zurück auf Bowies Berlinperiode hätten für eine ordentliche Coda gesorgt. Der Thin White Duke hätte als Rekonvaleszenter auf einem Sofa gute Figur gemacht.

Stattdessen haben wir nun The Next Day, ein dichtes, zorniges, komplexes Rockalbum. Es röhrt das Saxophon, überall finden sich Riffs, die an den alten Bowie erinnern, es ist reich an internen Gleichklängen (die Gesangsmelodie von „Where Are We Now“ wird von der Gitarre auf „Valentine's Day“ übernommen) und vielen singenden Davids (auf „Heat“, der abschließenden Nummer des Albums, ist er wie Scott Walker). Es ist zwar schon seit einigen Wochen erhältlich, aber es fällt noch immer schwer, die Qualität von Songs wie dem exzellenten „Dirty Boys“ von dem kollektiven Bedürfnis zu trennen, dieses Album müsse eine Rückkehr zu alter Form sein, eine Geißel für die verkalkten Adern, ein Stinkefinger für die Würmer. Wenn es Zeichen eines befriedigenden Albums ist, dass man jede einzelne Note und jede Anspielung absorbieren möchte, dann ist The Next Day ein Bankett, aber eines, auf dem es sowohl Supergerichte als auch Knorpel gibt.

„Boss of Me“ ist eine dieser Schwachstellen, sowohl was den hässlichen Amerikanismus des Titels betrifft als auch die lustlose Rockausführung. „If You Can See Me“, wiederum, ist eine Drum'n'Bass-Nummer, deren Merkwürdigkeit einen 90-er-Jahre-Kater nicht überwinden kann. Die guten Strophen von „(You Will) Set the World on Fire“ leiden unter dem alles andere als berauschenden Refrain. Es gibt Verbindungen zurück zu Reality und Heathen (2002): die offensichtlichste ist Bowies Bedürfnis, Statements über den Krieg abzugeben, wo er in seiner besten Zeit einfach exotische und eigenwillige Dinge erdachte.

Aber die Tracks, die vor Waffen nur so strotzen – „I'd Rather Be High“, „How Does the Grass Grow?“ – , sind reich und blutig und erinnern an (ausgerechnet) PJ Harvey. Und wenn Bowie Berühmtheiten als untote Aliens besetzen möchte, die „sexless and unaroused" Jagd auf die Menschheit machen, wie er es auf „The Stars Are Out Tonight“ tut, dann gibt es nur wenige Stars, die dies mit ähnlicher Autorität tun könnten.

Am befriedigendsten ist wahrscheinlich das Crescendo von „You Feel So Lonely You Could Die“, ein Update des Bowie von „Rock'n'Roll Suicide“. Dieser Song ist ein trostloser Walzer, der nach einem Text schreit, und das beste Argument für dieses späte Comeback, das ebenso bitter wie bösartig ist. Singt er wirklich „I can see you as a corpse/Hanging from a beam"? Ja. Ja, das tut er.

MP3-Download

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Spass und Spiele Designed by Templateism.com Copyright © 2016 |

2013 - 2016 Spass und Spiele. Designbilder von Bim. Powered by Blogger.