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Justin Timberlake: The 20/20 Experience (Albumkritik)

 

justin timberlake 02 Justin Timberlake

The 20/20 Experience

(RCA)

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Vor zwölf Jahren, als er mit Britney Spears zusammen war, sah Justin Timberlake wie die Verkörperung des ahnungslosen Boyband-Dummkopfs aus, der das Maximum aus seiner kurzzeitigen Berühmtheit herausholen möchte. Daran sollte man sich erinnern, während man sich The 20/20 Experience anhört, nicht zuletzt die abschließende Nummer „Blue Ocean Floor“: siebeneinhalb Minuten voller rückwärts abgespielter Tonbänder, hallender Pianofiguren, Sub-Bass, Soundeffekte und verschwommener Streicher. Es kann mit Gewissheit gesagt werden, dass anno 2001 niemand für möglich gehalten hätte, dass das Boygroup-Kerlchen je so ein Stück Musik herausbringen würde. Der ahnungslose Dummkopf sollte 11 Jahre nach dem Ende der Gruppe keine wie auch immer geartete Karriere mehr haben, schon gar nicht so eine, wie sie Timberlake derzeit genießt: wachsender Erfolg als Schauspieler und dazu ein so großer Popstar, dass er sich erlauben kann, sechseinhalb Jahre zwischen zwei Albenveröffentlichungen verstreichen zu lassen.

Das liegt zumindest teilweise daran, dass er stets mit den besten Produzenten und Songwritern zusammenarbeitet The Neptunes, deren fantastische Single Rock Your Body für Michael Jackson bestimmt war, und Timbaland, der für die wahrhaft guten Teile von FutureSex/LoveSounds, dem Vorgänger von The 20/20 Experience, verantwortlich zeichnete. Letzterer hat sich in der jüngeren Vergangenheit auffällig rar gemacht, vielleicht weil er es vorzieht, eine Ära auszusitzen, in der die Künstler, die einst um seinen visionären Produktionen geradezu gebettelt hätten, lieber mit den Identikit-Pop-Rave-Händlern zusammenarbeiten, aber The 20/20 Experience ist ein erneuter Beweis der künstlerischen Kraft seines bemerkenswerten Stils: rein akustisch ist das Album eine echte Tour de Force. Sein unverkennbarer Sound basiert auf der Kenntnis von Fragmenten verschiedener klassischer Soulstile: dröhnende Isaac Hayes-artige Voiceover, üppige Streicher- und Bläserarrangements, wie sie The Delfonics und The Chi-Lites umspielten, schmatzende analoge Synthesizer, wie sie auf Stevie Wonders Alben aus den frühen 70-ern zu finden sind, ein kreischendes, an Eddie Hazel erinnerndes Gitarrensolo. Aber diese Herangehensweise ist nicht ehrerbietig oder retro: sie bietet dem Sound ein sicheres Fundament inmitten einer Masse von unzusammenhängenden, hallenden Samples – Schnipsel von Klavierspiel, verzerrte Stimmen, summende Elektronik – und überraschenden Beats. Mitunter lehnt man sich weiter hinaus: das erstaunliche „Let the Groove Get In“ erfreut mit einer elektronischen Annäherung an einen Batucada-Rhythmus, über den wilde Afrobeat-Bläser gelegt sind.

Der Sound von The 20/20 Experience ist komplex, reich und belohnend. Er vermeidet ganz entschieden alle müden klanglichen Klischees, in denen der Pop-R&B derzeit feststeckt: es gibt nicht einmal den Ansatz einer vom Dubstep inspirierten Basslinie und auch keinen von Hause inspirierten Breakdown. Dennoch tun sich Probleme auf. Das Songwriting ist nicht schlecht – Timberlake kann wirklich Refrains schreiben -, aber es ist nicht gut genug, um die schiere Länge der Songs zu rechtfertigen: der kürzeste Track auf dem Album dauert fünf Minuten, während zwei die Acht-Minuten-Marke überschreiten.

Dann sind da auch noch die Texte des Albums, die einfach fürchterlich sind. Es ist nicht so, dass es in den Texten nur um Sex ginge; es ist nur so, dass Timberlake auf eine Weise darüber schreibt, die den Eindruck erweckt, er möchte zu seinen Grammys und Emmys unbedingt auch noch das musikalische Äquivalent eines Bad Sex Preises hinzugewinnen. „We're making love like professionals“, singt er. Moment: Profis? Was bedeutet das? Völlig leidenschaftslos und für zuvor festgesetztes Entgelt?

Mitten in „Strawberry Bubblegum“ gibt es den schrecklichen Moment, in dem dem Hörer langsam klar wird, dass „strawberry bubblegum" eine Metapher für die Vagina seiner Partnerin zu sein scheint. Timberlake ist ein junger, seit kurzem verheirateter Mann und er hat jedes Recht, dies auf jede ihm genehme Weise zu zelebrieren, aber man fragt sich, ob es der Dame nicht lieber wäre, einen Strauß Blumen statt dieses Songs zu erhalten, den Millionen hören werden und in dem ihre Vagina mit einem Stück Hubba-Bubba verglichen wird. Zumindest findet er für sein bestes Stück selbst einen ähnlich dämlichen Ausdruck: sein Penis ähnelt allem Anschein nach einem „blueberry lollipop", was darauf hindeutet, dass ein Arzt einen Blick darauf werfen sollte. Das hört sich nach einem ernsthaften Problem mit dem Blutkreislauf an.

Nur wirklich kühne Seelen behaupten, dass so etwas den Genuss von The 20/20 Experience nicht trübt: Es fällt definitiv schwerer, sich auf den Einfallsreichtum des Sounds zu konzentrieren, wenn ein Mann mit Falsettstimme singt und dabei die Vagina seiner Frau mit Kaugummi vergleicht. Es wäre aber auch grob zu behaupten, das Album würde dadurch ruiniert. Trotz seiner Mängel ist The 20/20 Experience ein wirklich wagemutiges Popalbum in einer Welt des „wird dies genügen?“ Die Tage des einfältigen Boyband-Bübleins scheinen ferner den je.

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