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18.05.2018

Deadpool soll sich einfach verpissen

 

deadpool feature review 01

 

Der schlimmste Trend im modernen Kino ist nicht der Wildwuchs oder die Qualität von Superhelden-Filmen – es gibt genau die richtige Zahl von ihnen, und viele sind nicht einmal schlecht -, sondern das, was in einem Kino passiert, wenn Stan Lee in einem dieser Filme auf der Leinwand auftaucht. So um 2008, als der erste Iron Man erschien und damit der erste von mittlerweile 19 Filmen des Marvel Cinematic Universe über die Leinwände der Welt flimmerte, konnte man deutliches Kichern hören, als Lee zu sehen war: es war eine Art akustische Verbeugung, ein paar Nerds, die sich an etwas erfreuten, was sie erwartet hatten. Ich kenne ihn, teilte dieses Kichern den anderen Kinobesuchern mit. Anno 2018, bei Black Panther und Avengers: Infinity War, brachen (und brechen) so gut wie alle Kinobesucher in tiefes, gezwungenes, gutturales Lachen aus, als Lee auf die Leinwand spazierte. Mittlerweile ist dieser größte Insider-Witz der Popkultur so gut wie allen bekannt – und das möchten sie ihrer Umwelt zu verstehen geben.

 

Lee war in fast allen von Marvels Filmadaptionen (33!) zu sehen, wobei das Ganze um die Jahrtausendwende ernsthaft begann, und zwar mit X-Men und Spider-Man, den zwei Filmen, die alles Kommende in Bewegung setzten; seine kurzen Gastauftritte reichen weiter zurück, bis zum 1989 für das TV gedrehten The Trial of the Incredible Hulk. Stan Lees langjährige Einbeziehung hat immer schon darauf hingedeutet, dass Marvel Adaptionen nicht davor zurückscheuen, sich auf offensichtliche Weise gegen die vierte Wand zu pressen. Deadpool bewies dann, dass Marvel gewillt ist, die vierte Wand mit dem Bulldozer einzureißen und dann die Zuschauer mit dem Schutt zu bewerfen, bis alle bewusstlos sind.

 

Ehe wir weiter ins Detail gehen, hier eine Liste von Dingen, die für sich allein nicht verwerflich sind: das Wort Fuck, extreme Anstößigkeit, Nacktheit, anschauliche Gewalt in Filmen, Songs von DMX, prahlerischer Meta-Shit, Rob Delaney und unterhaltsame, dumme Sommer-Blockbuster. Deadpool und seine Fortsetzung beinhalten Kombinationen all dieser Dinge, und zwar im Übermaß. Das ist in Ordnung, nehme ich an – auch der neue Film wird sehr viel Geld einspielen und viele Leute gut unterhalten, die im Kino das Gehirn gerne abschalten und wieder zu Zwölfjährigen werden. Außerdem gibt es kein Gesetz, das Sie oder mich oder sonst irgendjemanden zwingen würde, eine Eintrittskarte für Deadpool 2 zu erwerben oder auch nur das geringste Interesse für den Streifen zu entwickeln. Dennoch: Fuuuuuuck Deadpool. Fuck it right to hell.

 

Deadpool ist ein beschissener Film, und zwar ein extrem beschissener, was zum Teil an ihm selbst und zum Teil an Dingen außerhalb seiner Kontrolle liegt. Es wurde mir gesagt, dass er dem Quellmaterial treu ist, was mich nicht wirklich interessiert, wenn ich einen Film einfach nur als Film genießen möchte. Ryan Reynolds, der immer schon wie ein eingebildeter und selbstzufriedener Kerl wirkte, hat sein Herzensprojekt endlich auf die Leinwand gebracht, und es war noch dazu erfolgreich. Es war mehr oder weniger vorherbestimmt, nachdem Deadpool in einer Ausgabe der Comic-Reihe erklärt hatte, dass er wie eine Mischung von Reynolds und einem Shar-Pei aussieht. Der Kampf, Deadpool ins Kino zu bringen, ist gut dokumentiert und dauerte fast 16 Jahre, und deshalb waren die Torpfosten sehr wohlwollend platziert, als der Film endlich zu einem richtigen Werk wurde. Dass er überhaupt existiert, war für Macher wie Fans allein schon ein Triumph.

 

Diese fundamentale Bequemlichkeit – die selbstgefällige Sicherheit, dass es genügt, einfach „erkennbar etwas zu sein, das existiert“ – passt sehr gut zu Deadpools Art von Humor. Die Art, wie Deadpool den Humor handhabt, ist auf gewisse Weise der logische Schlusspunkt all dieser Gastauftritte von Stan Lee – ein Witz ist nicht so sehr ein Witz, sondern viel mehr bloß „erkennbar etwas, das existiert“. Das ist natürlich nicht der einzige offensichtliche Einfluss auf den Deadpool Stil – es gibt auch noch „Harambe meme vibes“, Moves wie aus einem Werbespot von GEICO und, in geringerem Maße, etwas von der auf größere Breitenwirkung ausgelegten Herangehensweise von Guardians of the Galaxy. All das bewirkt eine Nach-Pointe-Herangehensweise (post-punchline approach) an Witze, eine, für die viel wichtiger ist, dass der Witz existiert als das er gut aufgebaut, dargeboten oder geschrieben wird. Deshalb sprudeln die Witze schnell heraus, fast wie nervöse Ticks, und das oft zulasten so langweiliger Aspekte wie erzählerischer Zusammenhang oder Rhythmus. Es spielt keine Rolle, wie Deadpool Reynolds' Beteiligung an dem Megaflop Green Lantern, das relativ bescheidene Budget des ersten Films, der ihm deshalb nur „D-list“ X-Men als Helfer zur Seite stellen konnte, oder die Art und Weise, wie X-Men Origins: Wolverine den Charakter mehr oder weniger verstümmelte, kommentiert, es genügt, dass all diese und weitere Themen mit einem blöden Spruch oder einem visuellen Gag abgehakt werden, also einfach im Film sind, bevorzugt mit einem niedlichen Augenzwinkern, damit alle, die genau aufpassen und Anspielungen mitzählen, zufrieden sind.

 

Alle Beteiligten scheinen extrem stolz darauf zu sein, womit sie durchkommen – ein Paradebeispiel dafür ist der Original-Soundtrack von Deadpool 2, der vergnügt und leichtsinnig zur ersten Filmmusik wurde, der eine Parental Advisory „Ehrenmedaille“ erhielt, und zwar allein schon aufgrund von Songtiteln wie “Holy Shit Balls” und “You Can’t Stop This Motherfucker”. Was die humoristischen Einfälle anbelangt, könnten diese genauso gut auf dem Mist eines Mittelschul-Chud gewachsen sein, der endlich den einen oder anderen Film mit R-Rating sehen darf und in der Cafeteria immer lauter das Wort „Penis“ schreit.

 

Es hat etwas Reizvolles an sich, wenn ein Film in der Lage ist, sich über das Studio, das ihn macht, und alle Beteiligten lustig zu machen, was Deadpool mit seinem leidlich witzigen Vorspann gelang. Das ist eine recht bescheidene Leistung, da das Studio keine Probleme damit hat, solche Spötteleien zu ertragen, solange die Deadpool Filme je rund $800 Millionen in die weltweiten Kinokassen spülen. Ich kann auch verstehen, warum Deadpool 2016 auf viele so erfrischend wirkte, wenn man bedenkt, welchen Kontrast der Film zu den schroffen und tragisch verstopften DC Helden und der generellen “enjoying a cold one with the boys while the entire universe hangs in the balance” Stimmung des MCU darstellt. Der Einsatz beim ersten Deadpool war bewundernswert persönlich, auch wenn die großen Actionszenen dem Regisseur Tim Miller gegen Ende entglitten.

 

Der wohl beste Nebeneffekt von Deadpool, wenn es denn einen gibt, ist, dass sein Erfolg Marvel und die anderen Produzenten von ganz großen Blockbustern dazu bewogen hat, nicht mehr generell vor einem R-Rating zurückzuschrecken. Doch das war nicht wirklich revolutionär - The Matrix und 300 beweisen, dass dies auch in jeder der beiden vergangenen Dekanden möglich war -, aber es dürfte mitgeholfen haben, 20th Century Fox davon zu überzeugen, das Risiko einzugehen, Logan mit einem R-Rating ins Kino zu bringen. Vielleicht wird Marvel eines Tages einem subversiveren Gemetzel mit humorvollen Einlagen wie Matthew Vaughns schmuddeligem, zu wenig geschätzten Kick Ass, das etwas weniger von sich selbst beeindruckt war als Deadpool, grünes Licht geben.

 

Natürlich gab es die Befürchtung, dass Disneys Erwerb von 20th Century Fox künftige Deadpool Filme verwässern oder seine Integration in das Avengers Universum erzwingen könnte. Letzteres ist mein absoluter Alptraum. Aber dieser Charakter, der so abgedroschen ist wie jemand, der sein Leben lang in einem Vergnügungspark arbeitet, hat nichts an sich, was darauf hindeutet, er würde sich im Mouse House nicht pudelwohl fühlen. Er wird nichts verwässern müssen, was vermutlich das Beste ist, da wir sonst mit Witzen darüber eingedeckt würden, warum er keine Flüche mehr anbringen kann. Das ist der Kitzel an dem Ganzen. Das Bemerken.

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