Menu

Seiten

24.09.2018

Low: Double Negative (Albumkritik)

 

low band 02

 

Low: Double Negative (Sub Pop)

 

 

Dieser Titel ist vielleicht nur ein kleiner wissender Scherz. Sie dachten, dass der langsame, minimalistische Indie-Rock, mit denen uns das Trio aus Duluth nun schon seit 25 Jahren erfreut, düster sei? Nun ist er er das in doppeltem Ausmaß, dreifach destilliert, vierfach konzentriert – und das Resultat ist dieses Meisterwerk, auf das ihre Entwicklung über die bisherigen, großteils beeindruckenden Alben hinweg unaufhörlich zusteuerte.

 

Der Einsatz von Drum Machines, der auf dem 2015 erschienenen Ones and Sixes begann, wird hier konsequent fortgeführt und ausgebaut. In Verbindung mit der visionären Produktion von BJ Burton erinnert die Rhythmussektion eher an Mika Vainio oder Thomas Köner als an eine Rockgruppe: Statik anstelle von Snare Drums, verschwommene Wirbel von Lärm anstelle von Bass, Klänge die wie die Gewalt selbst erscheinen. Der Bass auf „Quorum“ und „Always Trying to Work it Out“ wirkt wie ein wütender Vater, der mit der Faust auf den Esstisch schlägt, sodass sich der Rest eines jeden Songs möglichst unauffällig von ihm entfernt.

 

Always Trying...“ ist ein echtes Highlight, auf dem der legendäre Ehepaar-Gesang von Alan Sparhawk und Mimi Parker nach unten verzerrt und bearbeitet wurde, um Doo Wop zu kreieren, der in einem alternativen, teuflischen 20. Jahrhundert feststeckt.

 

Cover von Double Negative von Low

 

Das Thema dieses Albums ist die Erosion der USA und unseres Ökosystems, aber vor allem der psychische Zustand, der mit dem Leben inmitten dieser Erosion einhergeht, was musikalisch wie textlich sehr gekonnt zum Ausdruck gebracht wird. „Disarray“ – eine Technoballade, die zum Schönsten gehört, das die Band je geschrieben hat – scheint von Depression zu handeln, aber die Zeile “the truth is not something that you have not heard”, die die doppelte Verneinung des Titels verwendet, erinnert an Trumps eigenartige Rhetorik und passt perfekt in die Ära von „fake news“. Sparhawk gesteht ein: “Everybody says that the war is over / but it isn’t something you forget so easy” – die Band thematisierte zuvor auf Drums and Guns (2007) den Irakkrieg – und diese martialische Einstellung schwappt in andere Songs über. Mit Bee Gees Harmonien auf „Fly“ muss Parker “keep my body like a soldier”, während sich auf dem außergewöhnlichen „Poor Sucker“ die Drohungen häufen: “Gonna give it to you fast / gonna give it to you straight … Gonna leave you in the dark / at the bottom of a lake.”

 

Und doch finden sich hier auch unbeschwerte Momente: Parkers glockenhelle Beteuerung “I believe, I believe …” auf „Always Up“ ist wie ein grüner Spross in verbrannter Erde. Sparhawk hat eine hedonistischere Erwiderung parat: “Let’s turn this thing up before they take us out“, schreit er in der Blues-Rock-Nummer „Rome (Always in the Dark)“, aber auf „Dancing and Fire“ räumt er ein, dass jedes Zechgelage “more let it out than let it go” ist.

 

Über das gesamte Album hinweg macht sich ein schleppender, beschwörender Ton bemerkbar, der fast heidnisch wirkt, als würden einem Staat oder sogar dem Planeten die Sterbesakramente gespendet. Dieses Werk gehört neben den Bildern von Anselm Kiefer und den Büchern von Cormac McCarthy zu den Dokumenten des aktuellen sozialen Zusammenbruchs – und deshalb ist es das bisher wichtigste, erschütterndste Album des Jahres.

 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen