Im letzten Herbst tauchte auf YouTube ein Werbespot für ein Spiel auf, das noch nicht existierte und das von einem Studio entwickelt wurde, von dem noch niemand je gehört hatte. Der Spot sorgte für reichlich Aufregung, da das Spiel auf einen einzigen Amoklauf hinauszulaufen schien, noch dazu ohne jeden Ansatz von Ironie. Töten um des Tötens willen.
Bald wurde in vielen Medien heftig diskutiert, ob Hatred „zu weit geht”.
Und das war genau das, was die Leute von Destructive Creations, dem Studio, dem wir Hatred „verdanken“, erreichen wollten – enorme Medienpräsenz durch sinnlose, zum Teil recht geschmacklose Gewalt. Das Spiel – nein, nicht das Spiel, die Werbung für das Spiel – wurde mit der Absicht in den digitalen Ozean geworfen, Wellen der Empörung zu verursachen, denn heutzutage zählt nur mehr eines – um jeden Preis wahrgenommen zu werden.
Nun, acht Monate später, ist Hatred tatsächlich erschienen und es ist aktuell eines der meistverkauften Spiele auf Steam. Es stellt sich heraus, dass die Leute von Destructive Creations vor allem etwas von Marketing verstehen, aber leider nicht allzu viel von der Gestaltung von spielen. Ich bin mir aber noch immer nicht sicher, ob Hatred „zu weit“ geht. Irgendwie gelingt es dem Spiel, zu weit und zugleich nicht weit genug zu gehen.
Hatred ist ein Twin-Stick Shooter — ich spielte mit einem Gamepad, man kann aber auch das Keyboard verwenden -, der seine trostlose Welt aus einer Overhead-Perspektive (Vogelperspektive) präsentiert. Der Spieler schlüpft in die Rolle eines namenlosen Bösewichts, eines langhaarigen Roadie der Band Danzig (okay, das ist eine Annahme), der sich entschlossen hat, zum Massenmörder zu werden. Er schießt sich seinen Weg durch Wohnviertel, die Kanalisation (natürlich gibt es Levels, die in der Kanalisation spielen), Märkte, Militärbasen und so weiter. Er kann sich buchstäblich nur bewegen und töten. Nun ja, das und Schwachsinn wie “Can you hear your guardian angel crying?” von sich geben. Wenn er verwundet wird heilt er sich selbst, indem er Opfer exekutiert, die am Boden kriechen, wobei typischerweise ein grausames Video der Exekution auf dem Bildschirm zu sehen ist.
Wenn er sich ausnahmsweise einmal entschließt, nicht zu töten, laufen die Leute trotzdem entsetzt vor ihm davon, was das Spiel trauriger und interessanter macht. Die Polizei wird irgendwann auftauchen und ihn erschießen, obwohl er nur gewaltlos Widerstand leistet.
In Videospielen Leute zu töten, kann vergnüglich und albern oder verstörend und entsetzlich oder aufregend oder sogar strategisch und sehr bewusst sein. Hatred zielt auf all diese Empfindungen ab und und scheitert dabei kläglich.
Es gibt gelegentliche Versuche, den monotonen Ton und die trostlose Schwarzweiß-Bildsprache mit Humor aufzulockern, doch dabei handelt es sich zumeist um Rohrkrepierer. “Are You Drunk?” fragt das Spiel in seinem Einstellungen-Menü (options menu), ein Hinweis, dass dies alles nur ein spätnächtlicher Jux ist. (Sie erhalten ein Achievement, wenn Sie „Yes“ auswählen.) Während Sie mitten im Spiel Leute in einem Bahnhof abschlachten - vielleicht sogar mit dem Flammenwerfer -, heißt es in einer Durchsage trocken “Ladies and gentlemen, the train to New York City will be delayed; we’re sorry for the inconvenience.” Sie werden mit einem “Mainstream Guy” Achievement belohnt, wenn Sie Hipster töten, und mit einem „respawn point“ (Stelle, an der Sie nach dem Tod wieder ins Spiel einsteigen), wenn Sie Leute töten, die in der Warteschlange stehen, um ein neues „aPhone” zu erwerben. Wenn Sie 10.00 Schüsse abgefeuert haben, erhalten Sie das “Liberal” Achievement. Wenn Sie 25.000 Mal feuern, sind Sie “Conservative.”
Oft wirkt das Spiel aufrichtig, motiviert von einem unerklärlichen Glauben daran, dass es in Videospielen grenzüberschreitend wäre, Polizisten und Soldaten, Männer und Frauen zu ermorden. Hatred sieht wie eine Parodie dessen aus, was sich diejenigen unter einem Videospiel vorstellen, die Videospiele für Gewalttaten verantwortlich machen. Ldoch die Erfahrung, es zu spielen, ist mehr American Movie als American Psycho. Für mich ist es so etwas wie ein interaktives Coven(ausgesprochen, wie Eingeweihte wissen, mit einem langen „O“), as devotees know, with a long “O”). Coven ist de scheußliche Horror-Kurzfilm, um den sich die 1999 erschienene Kultdokumentation dreht. Allerdings ist das Coven gegenüber nicht ganz fair.
Hatred ist geschmacklos und es macht keinen Spaß, es zu spielen, was zum Teil an den grausamen Exekutionsszenen liegt und zum Teil an der sich stark wiederholenden Action und der frustrierenden Steuerung. Das Spiel ist auf Schwierigkeitsgrad „easy“ (leicht) um einiges verstörender, als wenn man auf „hard“ (schwer) spielt („extreme“ habe ich nicht gespielt und ich habe auch nicht Surge getrunken), weil man, wen man auf niedrigem Schwierigkeitsgrad spielt, auch nicht darüber nachdenken muss, was man da tut. Da man nicht in jeder Sekunde Entscheidungen treffen muss, werden die brutalen Bilder noch unerträglicher, da man sie ohne Ablenkung mitbekommt. Der Spieler beginnt, mehr zu sehen und weniger zu tun. Das mag der Grund sein, warum das im vergangenen Oktober veröffentlichte YouTube Video zur (kurzfristigen) Sensation wurde. Sich Clips von Hatred anzusehen, vor allem Exekutionssequenzen, ist unerträglicher, als das Spiel zu spielen, da der Zuschauer die brutalen Bilder isoliert erlebt, ohne die Aufregung des Tuns und Entscheidens.
Der quälendste Abschnitt des Spiels ist in einem Pendlerzug angesiedelt. Er erinnert an das Long Island Rail Road Massaker von 1993. Nur wenige der Passagiere haben Waffen und manche kauern verängstigt in ihren Sitzen. Sie können zu ihnen gehen und sie erschießen oder einfach an ihnen vorbeigehen; das Spiel bietet keine Belohnungen und beurteilt Ihre Entscheidungen nicht. Es ist einer der seltenen Momente, in denen der Spieler Zeit hat, über sein Tun und das Spiel insgesamt nachzudenken: Was tute ich da und warum? (Das Spiel spielt in New York, auch wenn sich die Macher, wenn man von gelegentlichen texten absieht, keine sonderliche Mühe gaben, einen bestimmten Ort zu gestalten.)
Ein anderer Level – man befindet sich in einer Fernfahrerkneipe – weckt Erinnerungen (vielleicht unbeabsichtigt) an die Schießerei in Luby’s Cafeteria in Killeen, Texas im Jahre 1991.
Ich jagte und erledigte einen einzelnen, unbewaffneten Mann, der das „Vaterunser“ betete.
Das Spiel spielt immer wieder zusammenhangslos auf politische Attentate, die Bedrohung durch nuklearen Terrorismus und vielleicht auch die Morde in Fort Hood an. Aber dies ist kein gekonnt gemachtes Stück Schockkultur. Nach rund 10 Stunden flehte ich das Spiel geradezu an, mich zu schockieren. Stattdessen stößt es einen mit der puren Menge an Grausamkeit ab: Todesszene auf Todesszene gibt einem das Gefühl, man wäre zu einer besonders ineffektiven Art der Aversionstherapie, wie man sie aus A Clockwork Orange kennt, verurteilt worden.
Hatred möchte extravagant genug sein, um den Spielern das Gefühl zu geben, sie würden Tabus verletzen, ohne mutig genug zu sein, sich der Realität von Massenmördern wie Charles Whitman oder Dylan Klebold und Eric Harris zu stellen. Es gibt hier keine Schulen oder Kinder und keine Nachgestaltungen historischer Morde, wie einst in JFK Reloaded zu sehen.
Das Logo des Spiels ähnelt dem von Doom, womit die Macher wohl andeuten möchten, dass Hatred Teil eines Kontinuums der Videospielgeschichte ist, dass wir uns am virtuellen Morden erfreuen und dann einfach sagen können, es wäre nur „Spaß“, wenn uns jemand fragt, warum wir so freudig erregt sind. Nur dass Hatred nicht aufregend oder beängstigend oder spannend oder witzig oder auch nur nachdenklich stimmend ist. Wenn man es spielt, beschleicht einen ein Gefühl der Leere, so dass man sich unwillkürlich fragt, ob dies bedeutet, dass mit dem Spiel etwas nicht stimmt oder mit einem selbst.
Ist das Problem bloß eines der schlechten Umsetzung? Wäre Hatred ein gut gemachtes Spiel, könnte es einige interessante und spannende Fragen aufwerfen und uns zum Nachdenken darüber bewegen, warum wir in Videospielen so gerne töten. Aber es ist nun einmal schlecht gemacht, weshalb Hatred leider nicht einmal wert ist, gehasst zu werden.
PRO: Mitunter interessante Farbakzente in einer Schwarzweiß-Umgebung; solide Twin-Stick-Shooter-Action.
CONTRA: Schlechter Sound; uninteressante Dialoge; Action ist sehr monoton; keinerlei Story, also ziemlich sinnlos; kaum Widerspielwert.
Abschließende Bewertung
Spiel: 4,5
Spaßfaktor: 3,0
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