Das erste Witcher-Spiel mag trotz der generell positiven Gefühle, die ihm entgegengebracht wurden, ein wenig polarisiert haben, doch zurzeit sieht es ganz danach aus, als sollte The Witcher 2 genau das sein, was die hungernden Rollenspielmassen zufriedenstellen kann. Hier sind einige der Gründe, warum ich mich schon sehr auf dieses Spiel freue. Ich hoffe, dass das fertige Produkt noch mehr wunderbare Dinge für uns bereithalten wird.
1. Geralt = Clint Eastwood (eher aus der „Erbarmungslos“-Zeit als aus der „Rawhide“-Ära). Ich wusste beim ersten Spiel nicht so recht, was ich von ihm halten sollte – er schien eine Mischung aus dem gequälter-Held-Sterotyp und eingebildetem Nassauer zu sein, aber der Charakter wurde für das neue Spiel ein wenig anders angelegt und erhielt auch ein neues Gesicht. Er ist noch immer ein Macho und sehr selbstbewusst, aber auch resigniert und angeschlagen, nicht allzu gesprächig und weiß nicht so recht, welches Vorgehen das Richtige ist, und unterscheidet sich so doch beträchtlich von dem mürrischen harten Kerl mit der geheimnisvollen Vergangenheit, den wir in The Witcher kennengelernt haben. Er witzelt auch ein wenig und rollt gerne die Augen, wenn er sich die großen Reden und dummen Ideen anderer mitanhören muss. Anstatt ständig wie „der Herr all dessen, was mich umgibt“ aufzutreten, scheint er sich häufig „Oh Gott, nicht schon wieder“ zu denken.
2. Fast jeder Trank hat eine negative Nebenwirkung. Außerdem wird man durch den Konsum kurzfristig vergiftet. Was die Gesundheit erhöht, verringert vielleicht die magische Energie, oder umgekehrt, während ein Mittelchen, das es möglich macht, ein paar Minuten lang im Dunkeln zu sehen, die Rückkehr ans Tageslicht zu einer sehr schmerzhaften Erfahrung werden lässt. Es ist eine Art chemisches Glücksspiel, bei dem man sich genau überlegen muss, was man für den Erfolg zu opfern bereit ist, denn hier werden nicht di kleinen perfekten Tränke angeboten, die man sonst in Fantasyspiele zumeist findet. Außerdem kann man nichts mitten im Kampf zu sich nehmen (wo wäre das auch in der Realität möglich?), weshalb man sich gut vorbereiten muss, ehe man zur Tat schreitet. Man muss seine Kämpfe gut planen und kann nicht einfach auf Widrigkeiten reagieren – tut man dies nicht, wird man unweigerlich scheitern.
3. Das Spiel ist bis zum Rand gefüllt mit Walisern und Sprechern anderer britischer Akzente. Das passt hervorragend zu dem nicht allzu sehr auf Fantasy ausgelegten, eher umgangssprachlichen Charakter des Spiels – es ist kaum etwas zu merken von den braven, geschwollenen Herr der Ringe-Tönen, weshalb das Ganze umso realistischer wirkt. Unangenehm fällt jedoch auf, dass einige wenige Charaktere eindeutig Amerikanisch sprechen – vor allem Geralts mal ja mal nein-Gespielin Triss wirkt sprachlich völlig deplatziert.
4. Mit brutaler Gewalt allein kann man nicht allzu viel erreichen. Man braucht spezielle Werkzeuge, um spezielle Monster besiegen und besondere Missionen erfolgreich abschließen zu können. Nekker (Tunnel grabende Zombie-Goblin-Dinger) können sehr leicht mit einem Schwerthieb getötet werden, doch schlüpfen aus Nestern immer neue hervor, wenn es einem nicht gelingt, die richtigen Zutaten zu finden und damit genau die richtige Bombe zu bauen, um diese schrecklichen Zugänge zur Unterwelt ein für alle Mal zu schließen. Riesenspinnen wiederum tauchen in Massen auf, solange es einem nicht gelingt, die Königinnen herauszulocken und zu töten. Das ist kein leichter Kampf, doch man hat vielleicht eine Chance, wenn man es schafft, ausreichend Fallen (Feuer, explosiv, betäubend, etc.) aufzubauen, ehe so ein Riesending auf einen zu marschiert.
5. Drachen und Kraken, oh Gott…Das Spiel verschwendet wahrlich keine Zeit und konfrontiert einen sehr bald mit wirklich, wirklich großen und hässlichen Wesen, die nur mit ausgeklügelter Taktik zu besiegen sind. Hier geht es nicht darum, irgendwelche Kobolde im Wald zu verprügeln, hier steht in spektakulären Kämpfen viel auf dem Spiel. Und das allein schon im ersten Kapitel – im weiteren verlauf werden sicher noch viel furchtbare Schrecken auf den Spieler warten.
6. Zugegeben, dies wurde bereits im ersten Spiel eingeführt, doch die dramatisch verbesserten Texte und die ebenfalls gehörig verbesserten Leistungen der Sprecher sorgen dafür, dass es diesmal viel überzeugender umgesetzt werden konnte. Zwerge und Elfen sind in dieser Fantasy-Welt nicht die charmanten, freundlichen Bürschchen, die man aus anderen Spielen und Geschichten gewöhnt ist – sie sind Außenseiter, denen von den herrschenden Menschen bestenfalls mit Verachtung, schlechtestenfalls mit von Vorurteilen bestimmter Gewalt begegnet wird. Sehr früh im Spiel muss man sich entscheiden, ob man mit einer Gruppe verbitterter Elfen, die im Grunde Terroristen sind, sympathisiert oder sich auf die Seite eines menschlichen Gouverneurs stellt, der seine Leute beschützen möchte, aber ein ausgesprochener Rassist ist. Die Entscheidung ist nicht leicht. Die Elfen (und in geringerem Ausmaß die Zwerge) sind über die Behandlung, die ihnen zuteil wird, erzürnt und versuchen, dem mit Gewalt zu begegnen - zu Recht, doch dadurch sind andere Leben in Gefahr. Dies ist eine moralisch sehr komplexe Welt, in der es keine einfachen Entscheidungen gibt.
7. The Witcher 2 sieht erstaunlich aus - besonders dann, wenn Ihre Grafikkarte die Einstellung Ultra zulässt. Doch selbst bei Einstellung Mittel und Hoch sind noch spektakuläre Bilder zu sehen. Dies ist eines der eher seltenen Spiele, bei denen die technische Überlegenheit des PC gegenüber den Konsolen-Spaßkästchen nicht von der Hand zu weisen ist. es wurde als PC-Spiel angelegt und soll die Möglichkeiten des PC bestmöglich nutzen – und das ist deutlich zu sehen. So beeindrucken etwa die vielen Details an den Charakteren (man zuckt unwillkürlich zusammen, wenn man die viele Narben an Geralts Oberkörper sieht) und die Strahlen gelb-orangen Lichts, die bei Sonnenaufgang und Sonnenuntergang durch die Blätter und Äste des Waldes fallen. The Witcher 2 ist vielleicht eines der am besten aussehenden Spiele aller Zeiten, und zwar nicht nur rein technisch betrachtet. Außerdem streamt ein Großteil der Welt im Hintergrund munter vor sich hin, was bedeutet, dass man weite strecken zurücklegen kann, ohne auf einen lästigen Ladescreen zu stoßen.
8. Das Sammeln und Zusammensetzen von Megabeute ist eine echte und sehr befriedigende Aufgabe für sich. So soll man etwa lokale Händler nach seltenen Materialien abklappern, um eine neue Rüstung fertigen zu können. Man macht dies aus eigenem Antrieb, aus eigenem Interesse, nicht weil ein seltsamer Typ mit einem gelben Pfeil oder Fragezeichen über dem Kopf einen dazu auffordert, ihm 12 Schweinehoden zu bringen. Diese Missionen sind für einen selbst von Bedeutung, nicht für einen fast stummen NPC.
9. Magie spielt in dieser Welt auch eine Rolle, aber es ist nicht die noble, allmächtige, bequeme, glorreiche Magie, die man aus anderen Fantasywelten kennt. Sie ist klein, einfach, taktisch und irgendwie seltsam. Eine mächtige Magierin, die einen Schutzzauber ausspricht (der heranfliegende Pfeile in Schmetterlinge verwandelt, was hübsch anzusehen ist), bricht wenige Sekunden später zusammen – Menschen wurden nicht geschaffen, mit solchen ungeheuren Kräften umzugehen. Geralt hat unmittelbaren Zugriff auf ein halbes Dutzend Zaubersprüche, die er in Verbindung mit seinen Schwertkampffähigkeiten einsetzen kann. Ein kleines Kraftfeld kann Gegner zurückhalten, ein kleiner Feuerstoß kann einen mit einem Schild gewappneten Kämpfer so weit ablenken, dass sich eine Lücke für einen Schwertstoß auftut, ein Gedankenkontrollzauber kann einen von mehreren Angreifern so verwirren, dass man entwischen kann. Sowohl visuell als auch effektiv sind dies kleine, einfache Hilfen, die für Chancengleichheit sorgen, nicht aber dazu führen, dass man Gegner mit Leichtigkeit überwältigen kann. In dieser Welt trifft man nur sehr selten auf große Magie. Geralt kann zwar seine magischen Fähigkeiten stark verbessern, doch er wird nie in der Lage sein, einen Dämon herbeizurufen oder Feuer vom Himmel regnen zu lassen. Dies sind nicht die X-Men, dies ist ein Kerl, der Feinde mit seinem Schwert bekämpft und einige nette Tricks im Ärmel hat.
10. Nebenaufgaben werden nicht groß angekündigt. Dies ist keine künstliche Umgebung, die nur darauf wartet, dass der Spiele auftaucht und alle Probleme beseitigt - diese Welt ist einfach da und folgt ihren eigenen Gesetzen, mit denen man sich abfinden und die man nach Möglichkeit zu seinem eigenen Vorteil nützen muss. Begeben Sie sich haus, erkunden Sie die Umgebung, reden Sie mit den Leuten, lesen Sie die Kundmachungen, schaffen Sie sich mit Hilfe des Spiels Ihre eigene Geschichte. Hier gibt es keine großen gelben Pfeile, die Nebenaufgaben ankündigen, sondern nur eine große, hintergründige Welt, in der man sich zurechtfinden muss.
11. Es ist eine moralisch und politisch komplexe Welt, sowohl im Kleinen wie auch im Großen. Ist es wirklich eine so gute Idee, einen mörderischen Troll unter einer Brücke totzuschlagen, wenn man ihn vielleicht mit gutem Zureden dazu bringen kann, böse Kerle daran zu hindern, in die Stadt einzudringen? Ist ein König, der unzählige uneheliche Kinder gezeugt und einen unnötigen Krieg angezettelt hat, notwendigerweise ein schlechter König oder kann es sein, dass ihn seine Großzügigkeit und seine Überzeugungen zu einem überdurchschnittlich guten Herrscher machen? Oder ist er nur ein Mann und sollte folglich wie einer behandelt werden? In The Witcher 2 dreht sich sehr viel um Politik: leider macht so manches davon für den Neueinsteiger nicht viel Sinn (eines der größten Probleme des Spiels ist, dass es davon ausgeht, dass alle den Vorgänger gespielt haben), doch es ergeben sich viele größere Zusammenhänge, wenn man sich ordentlich hineinhängt. Sein Interesse an dunklen politischen Machenschaften und großen Verschwörungen macht das Spiel von Anfang an viel faszinierender als das übliche „gehe dorthin und rette die Welt“-Gewäsch.
12. Die Schwertkämpfe sind intuitiv und taktisch – sie erfordern eine Mischung aus Geschicklichkeit und Reaktionsvermögen des Spielers und Fähigkeiten des Charakters (es können etwa Parierfähigkeiten und besondere Attacken freigeschaltet werden) und haben mit den seltsames Timing erfordernden Minispielen des ersten Witcher nicht mehr viel gemein. Es handelt sich um ein Actionspiel in einem Rollenspiel, wobei keiner der beiden Aspekte zu kurz kommt. Ein guter Kampf fühlt sich an wie ein echtes Workout.
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