Das amoralische Open-World-Schlachtfest erhält neue Kräfte, neue Schauplätze und einen neuen Helden
Während des Indie-Comicbuch-Booms der 80-er Jahre konnten Publisher mit Imitationen beliebter Marvel- und DC-Comics-Charaktere leicht Geld verdienen. Manche dieser Doppelgänger waren nur sehr gut gemachte Fan Fiction und boten Lookalikes, die sich blutiger Gewalt hingaben, vor der die Mainstream-Publisher zurückschreckten. So war zum Beispiel Faust wie Wolverine und Batman, nur mit wesentlich mehr Blut und wirklich derangiertem Sex. Die Videospielserie Prototype bietet nichts von dem Sex – bleiben wir bitte bei der Flüssigkeit, die das Herz passiert -, aber es trägt diesem alten ausbeuterischen und reißerischen Geist Rechnung, denn sie erlaubt den Spielern, durch Blut und Eingeweide zu waten, mit denen der Held die Umgebung verunstaltet, wenn er seine verrückten Mutationen bekannter Superkräfte zum Einsatz bringt.
Das 2009 veröffentlichte Prototype war ein Open-World-Spiel, in dem der seine Gestalt verändernde, mit einem Supervirus infizierte Protagonist Alex Mercer nicht an den Moralkodex der lizenzierten Superhelden gebunden war. Mercer konnte seine Gesundheit regenerieren, indem er einfach irgendwen, egal ob Feind oder unschuldiger Passant, verspeiste. Batman mag ein Exzentriker sein, aber er missbraucht Fußgänger nicht als Happy Meals. Prototype 2 gibt zu, dass Mercer moralisch verderbt ist, indem es ihn zum Bösewicht macht – aber der neue Held, ein psychisch geschädigter Soldat namens James Heller, gibt sich ebenfalls diesem hemmungslosen Menschenverspeisen hin. Wow, was für ironisches Potenzial in dieser Protagonist/Antagonist-Umkehrung! Aber Prototype 2 kümmert sich nicht um solche Details, denn es gilt, Gliedmaßen abzutrennen.
Prototype 2 möchte die Gewalt und die Bewegung des ersten Spiels verfeinern – und in dieser Beziehung ist das Spiel größtenteils erfolgreich. Heller kann alles, was Mercer konnte, aber auch noch einiges mehr. Er kann Klauen und Klingen ausbilden, mit denen er Menschen und groteske Mutanten in Stücke haut. Er verfügt über die neue und zugegebenermaßen beeindruckende Fähigkeit, klebrige Ranken hervorzubringen, mit denen er Gegner fesselt und vierteilt. Andere Charaktere können abermals verspeist werden, um Gesundheit zu regenerieren, aber neu ist, dass der Held so auch ihre Gestalt annehmen kann. Regelmäßig werden kleinere Fähigkeitsverbesserungen und Mutationen freigeschaltet, von denen leider einige die Registrierung bei RADnet, dem Online-Service des Entwicklers erfordern – mit dieser Maßnahme kann Radical Teile des Inhalts vor denen versperren, die das Spiel gebraucht erwerben. Diese Fortsetzung fügt eine Jagdfähigkeit hinzu, die darin besteht, dass Heller einen Sonar-artigen Laut ausstößt, der ihm ermöglicht weit entfernte Feinde ausfindig zu machen. Das ist ein raffinierter Trick, doch leider hat diese Fähigkeit einen Nebeneffekt – Heller kann sehen, welche seiner Ziele zu jeder beliebigen Zeit am verwundbarsten sind -, durch den die Tarn- und Schleichmissionen viel zu einfach werden.
Die Steuerung wurde verbessert. Die Zielerfassung ist zwar nach wie vor nicht ganz unproblematisch, aber die Fortbewegung in der Stadt funktioniert bestens. Abgesehen von der Neigung, die Kontrolle über die Kamera zu übernehmen, um auf Missionsziele und besonders wichtige Storyelemente hinzuweisen, oft sogar mitten im Kampf, ist Prototype 2 ein artiges Biest, das bereitwillig tut, was man von ihm will. Heller bewegt sich sehr flüssig und die tänzerischen Kämpfe erfordern keine komplizierten Steuerungscombos, um erfolgreich bewältigt werden zu können. Die Gewalt ist generell wenig einfallsreich – ein Mashup von Ideen besonders brutaler Comicbuchcharaktere, der Ähnlichkeiten mit dem Actionfilmeintopf von Just Cause 2 hat -, dafür aber sehr ausgefeilt. Die Unbeirrbarkeit der zerstörerischen Vision vermag mitunter zu fesseln. Dennoch ist wenig von dem Vergnügen zu spüren, dass andere Sandbox-Spiele mit Helden mit Superkräften bereiten.
Die Story ist alles andere als ausgefeilt. Heller bewegt sich durch einen blassen Abklatsch von New York City und dieser nichtssagende urbane Charakter untergräbt den Spaß am Erkunden. Heller Story rund um Rache und Verschwörung ist Schrott und strotzt von Klischees. Aus dem ohnehin ausgelutschten Thema wird ebenso wenig gemacht wie aus der Ironie, dass ein früherer Held nun der Bösewicht ist. Das Skript lebt auf ungeheuerliche Weise fast ausschließlich von dem Wort „Fuck“, selbst auf statischen Charakter-Upgrade-Schirmen. In manchen Momenten grenzt der Verlass auf dieses Wort fast an Komik.
Die Entwicklung der Missionen ist ebenso verkümmert wie die Story. So nimmt Heller zum Beispiel dutzende Male die Gestalt eines Militärkommandanten an, um sich auf eine streng bewachte Basis zu schleichen – genau wie in Prototype (und in dem Jahrzehnte alten Messiah von Shiny, das hier lobend erwähnt zu werden verdient). Die Kämpfe mögen zwar beeindruckend flüssig sein, aber auch sie verfallen letztlich in die oberflächliche Routine, unter der die Story und die Missionsstruktur leiden. Das Spiel ist groß und blutig und brutal, aber es geht nicht nur nicht darüber hinaus, sondern es hat insgesamt nicht viel mehr zu bieten als der Vorgänger. Als Übung in Exploitation wendet sich Prototype 2 an Spieler, die gerne dinge in die Luft jagen und Gegner zerfetzen, aber an weiteren Inhalten und spielerischer Tiefe nicht interessiert sind.
Prototype 2 ist so sehr auf die Gewalt fixiert, dass darüber alles andere vergessen wird.
PRO: Es macht Spaß, eine blutige Spur durch die Horden von Gegnern zu ziehen; man kann sich frei durch die Stadt bewegen; man kann nach wie vor auf Helikopter springen und diese mit Schlägen und Tritten vom Himmel holen.
CONTRA: Heller verhält sich wie Kratos, aber ohne dessen Komplexität; die Missionen sind simpel und wiederholen sich; keine nennenswerte Story; das Spiel sieht hässlich aus, aber nicht nur wegen der Monster.
Abschließende Bewertung
Spiel: 5,25
Spaßfaktor: 6,0
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