So war Halo bisher noch nicht zu sehen. Halo 4 weckt Emotionen – und das war bei der Reihe bisher in dieser Form nicht zu bemerken. Sicher, eingefleischte Fans werden protestieren und sagen, dass die Story faszinierend ist und die Kriegsmühen bewegend, aber ich kann mit Sicherheit feststellen, dass ich noch von keiner Halo Kampagne so gefesselt war wie von derjenigen des ersten Titels, für den 343 Industries verantwortlich zeichnet.
Die Leute, vor allem aber die Spieler, scheinen Angst vor Veränderungen zu haben. Das ist im Falle der Halo Reihe durchaus verständlich.
Halo ist ein elementarer Bestandteil der neueren Videospielgeschichte. Als Bungie vor mehr als einer Dekade die Science-Fiction-First-Person-Reihe vorstellte, konnte sie die Spieler sofort mit ihrer perfekten Mischung von außerirdischen Kreaturen und vielseitigen Waffen überzeugen. Die Leute waren sofort besessen von den Multiplayer-Modi und spielten Versionen, die schon etliche Jahre auf dem Buckel hatten, auch wenn bereits neue Titel der Serie erhältlich waren. Halo verkaufte Xboxes. Es ist ein allgemein bekannter Begriff – und zwar aus gutem Grund.
Deshalb hören sich Veränderungen zunächst beängstigend an. Als würden sie die Integrität von etwas ruinieren, das so eine beeindruckende Fangemeinde um sich geschart hat. Die eingefleischten Halo Fans können beruhigt aufatmen, denn 343 Industries bleibt dem Kern von Halo treu. Deshalb rate ich allen, unvoreingenommen an den neuen Titel heranzugehen und dessen veränderte Gewandung auf sich wirken zu lassen.
Denn diese Gewandung ist schön. Das Spiel präsentiert sich sehr filmisch und erfreut mit wunderbarer Musik. Die filmischen Sequenzen sehen absolut phänomenal aus, wobei besonders die Performeance Capture Technologie überzeugen kann, die dafür sorgt, dass man die gerenderten Charaktere fast mit echten. Lebendigen Schauspielern verwechseln könnte. Der von Massive Attacks Neil Davidge komponierte Soundtrack ist wie erwartet wunderbar und die realistischen Soundeffekte sind eine echte Freude. Das Knirschen und Quietschen der Rüstung des Master Chief bei all seinen Bewegungen und das bedrohliche Summen beschädigter Fahrzeuge sind kleine Details mit großer Wirkung.
343 Industries’ Herangehensweise macht die Serie, die bisher „nur“ aus sehr unterhaltsamen, gut gemachten Spielen bestand, irgendwie menschlicher.
Master Chief ist eine Ikone, sowohl in unserer als auch in der Welt von Halo. Er ist ein Supersoldat und die Menschen der Zukunft erwarten von ihm, dass er ihre Sicherheit gewährleistet. Wenn er durch die Tür kommt, ist die Erleichterung unter den anderen Soldaten spürbar. Nun wird alles in Ordnung kommen.
Bisher habe ich nie so eine enge Verbundenheit mit dem Master Chief verspürt wie in Halo 4. Aber ich war auch nie in der Lage, unter seinen Helm zu blicken und die Person zu erkennen, die er sein muss, um seinen Heldenstatus aufrechtzuerhalten. Wenn Sie alle Halo Romane gelesen und sich intensiv mit der Kultur von Halo befasst haben, werden Sie wissen, was für eine Anstrengung und was für ein Gewissenskonflikt es ist, das Gewicht des Universums auf seinen Schultern zu tragen. Aber das wurde in den Videospielen bisher nie wirklich vermittelt.
Halo 4 Einzelspielerkampagne wirkt wie zwei Geschichten. Es ist eine Geschichte über den Krieg und die Einführung einer neuen Spezies von Feinden, der Prometheans. Es ist eine Geschichte über eine fanatische Sekte der Covenant, die den Friedensvertrag, der in den vorangegangenen Spielen abgeschlossen wurde, ignoriert und wieder gegen die Menschen kämpft. Es ist eine Geschichte mit einem religiösen Unterton und reich an Überlieferungen. Aber es ist auch eine Geschichte über Master Chief, einen Menschen, der kaum noch mit der Menschheit und mit seiner eigenen Menschlichkeit in Kontakt treten kann, denn er konzentriert sich so sehr auf die Erfüllung seiner Verpflichtungen, dass er sich keine andere Reaktion auf Tragödien erlaubt, als sie möglichst schnell aus dem Gedächtnis zu löschen. Und es ist eine Geschichte über Cortana, die dem Master Chief über so viele Jahre verbunden geblieben ist. Ihre Beziehung ist eine starke. Sie mag der letzte Rest von Normalität sein, der Master Chief geblieben ist. Dieser Teil der Story zeigt die emotionale Seite von Halo 4. Und das ist eine faszinierende und wunderbare Erfahrung.
Die andere Seite der Story von Halo 4 — diese dichten Überlieferungen und Zusammenhänge — ist nicht so leicht zugänglich. Neue Konzepte und Namen werden dem Spieler in so schneller Folge entgegengeschleudert, dass es wirklich schwierig ist, auf dem Laufenden zu bleiben. Ich kann mir gut vorstellen, dass dies vor allem für Neueinsteiger zu einer echten Herausforderung werden wird, die vielleicht nur eine vage Vorstellung von dem Sci-Fi-Universum haben, in das sie eintreten, nur um sofort mit so vielen Fakten und Storyelementen bombardiert zu werden.
Das ist schade, denn ich möchte die Vor- und Hintergrundgeschichte der Prometheans wirklich lieben. Deshalb finde ich, das Halo 4 den Spielern, die erstmals mit der Serie in Kontakt kommen, keinen guten Dienst erweist, indem es so viele neue Konzepte herunterrasselt, ohne ihnen Zeit zu lassen oder Kontext zu bieten, um das Ganze zu verarbeiten. Ich nehme an, dass selbst Veteranen der Serie Schwierigkeiten haben werden, die Informationen so schnell zu verarbeiten, wie sie ihnen das Spiel in den Rachen stopft. So ist zum Beispiel das Wiedererstehen des Covenant als Bedrohung verwirrend. Gewisse Aspekte der Story werden nicht gut erklärt und es ist leicht, inmitten all der neuen Charaktere und der abstrakten Konzepte, die das Spiel im Schnelldurchlauf erklärt und dann rasch links liegenlässt, den Überblick zu verlieren.
Zum Glück erhält man detaillierte Informationen, die die dichte Handlung der Kampagne erhellen können, wenn man sich in die Spartans Ops vertieft – Solo- oder kooperative Missionen, die wöchentlich im Tandem mit filmischen Episoden veröffentlicht werden. Leider fand ich diese Spartan Ops Missionen ziemlich langweilig. Ich spielte bisher fünf Missionen, jede besser als die vorangegangene, aber sie waren nur als weiter Möglichkeit, Erfahrung zu sammeln und Zugriff auf neue Waffen, Fähigkeiten und Perks zu erhalten, interessant. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie viel mehr Sie über die Hintergrundgeschichten erfahren können, da die Inhalte der ersten Woche sehr beschränkt und ziemlich trocken sind. Ich bewundere, dass 343 Industries jede Woche neue Episoden veröffentlichen möchte, aber bisher waren sie vor allem längere Routineaufgaben, die darin bestanden, Wellen von Feinden zu töten. Da überrascht wohl nicht, dass die Handlung vernachlässigbar war.
Aber wie verhält es sich mit der Grundstruktur des Spiels selbst? Wird die Formel von Landsern, Elitekämpfern und wilden Hunden noch immer respektiert? Sind alle Waffen, die die Fans liebgewonnen haben, wieder dabei?
Halo 4 wirkt eindeutig wie ein Halo Spiel. Es wimmelt darin von Banshees und Sturmgewehren. Es wartet mit beeindruckenden Umgebungen und Schlachtenszenen auf. Einige der Multiplayer-Karten sind sogar Nachbauten klassischer Halo Karten – oder zumindest von diesen inspiriert. Halo 4 ist Beweis dafür, dass man bei 343 Industries genau weiß, was die Fans an der Halo Reihe lieben. Aber wie ich schon sagte: Spieler fürchten sich vor Veränderungen. Deshalb mag die Einführung von Ordnance Drops (Nachschubabwurf) im Multiplayer – im Prinzip ein Bonus, den Spieler erhalten, die während eines Matches tolle Leistungen erbringen – nicht nach Ihrem Geschmack sein. Ich denke, das ist eine gute Sache. Sie werden vielleicht anderer Meinung sein. Das ist in Ordnung.
Selbstverständlich können Sie Multiplayer-Runden Ihrem Geschmack entsprechend anpassen und verändern, wobei Sie auch die Möglichkeit haben, auf die Ordnance (Nachschub) Option zu verzichten. Außerdem gibt es eine Vielzahl von Modi, so dass für jeden Multiplayer der richtige dabei sein sollte. Ich bin besonders vom Flood Modus angetan, in dem einige wenige Spieler in die Rollen der Flood schlüpfen, während die Mehrzahl als menschliche Spartans unterwegs sind. Wenn Sie Spartans töten, werden diese infiziert und kämpfen, bis nur noch ein Mann am Leben ist. In First-Person-Shootern kommt es immer wieder vor, dass die Community eigene Modi erfindet, Regeln aufstellt und auf den Ehrenkodex unter Spielern vertraut, dass sich alle Teilnehmer daran halten werden, wodurch effektiv ungeschriebene neue Modi entstehen. Besagter Flood Modus ist ein Multiplayer-Spiel, das aus einem von der Community ersonnenen Modus für Halo 2 hervorgegangen ist. Es ist schön, dass 343 Industries die Community auf diese Weise würdigt. Die anderen Multiplayer-Modi reichen vom klassischen Team Slayer, in dem das blaue Team gegen das rote kämpft, bis zu Oddball, bei dem das Ziel darin besteht, denn Ball möglichst lange in Besitz zu haben.
Aber 343 Industries hat auch an aufregende neue Einzelspieler-Gameplayoptionen gedacht. So wurden zum Beispiel Mechs ins spiel integriert. Auch wenn diese in der Einzelspielerkampagne nur spärlich vorkommen, ist es sehr aufregend, in einen gepanzerten Anzug zu schlüpfen und dann Feinde mit Raketen zu beschießen oder mit eisernen Füßen zu zertreten. Die Fahrzeuge spielen insgesamt keine große Rolle, aber immerhin kann man mit dem Pelican Fluggerät herumspielen. Ich erinnere mich gerne daran zurück, wie ich in Halo: Reach eine Weltraumschlacht flog. Flugmissionen kommen auch im neuesten Titel vor, doch sie sind bei weitem nicht so bedeutsam oder cool wie diese Weltraumschlacht. Es handelt sich dabei eher um kurze Zwischenspiele zwischen den Hauptereignissen.
Die Prometheans, die neue Feindesklasse, sind ärgerlicher, als ich erwartet hätte. Sie sind Feiglinge. Sie fliehen sofort, wenn man auf sie schießt. Ich erwarte mir, dass die AI auf die Bedrohung durch mich reagiert und in Deckung geht, wenn dies notwendig oder vorteilhaft ist. Aber ich erwarte nicht, mit der AI Verstecken zu spielen. Einige Vertreter dieses Spezies sind aggressiver als andere und tauchen plötzlich unmittelbar vor Ihnen auf, wobei sie durch dicke Rüstungsschalen geschützt sind. Aber andere – vor allem die Service-artigen Typen, die die anderen Prometheans heilen können – verschwinden sofort aus Ihrem Gesichtsfeld und halten sich verborgen. Man wird es zwar schnell leid, gegen sie kämpfen zu müssen, aber dafür lassen sie tolle Waffen fallen. Das Design der Waffen der Prometheans ist wirklich beeindruckend. Manche dieser Schusswaffen zerlegen sich in ihre Einzelteile und setzen sich wieder zusammen, um nachzuladen. Von Schrotflinten über Scharfschützengewehre bis hin zu Pistolen liegen all diese Waffen gut in der virtuellen Hand. Ich bevorzuge in Halo Spielen stets die außerirdischen Waffen, aber diese neuen orange/rot leuchtenden Waffen sind sogar besser als das, was die Convenant zu bieten haben.
An Halo 4 gibt es auch einige Dinge zu bemängeln, und zwar sowohl im Hinblick auf die Handlung als auch beim Gameplay. Aber insgesamt ist Halo 4 unterhaltsam. Die Kampagne vermochte es, mich zu fesseln, wobei es besonders schön war, miterleben zu dürfen, wie sich die Emotionen von Cortana und Master Chief entfalteten. Die Missionen machten Spaß. Die Multiplayer-Inhalte sind abwechslungsreich und so rasant, wie es bei einem First-Person-Shooter der Fall sein sollte und wie man es mittlerweile von dieser Serie erwartet. Wer allfällige Vorbehalte wegen des neuen Entwicklerstudios überwindet, wird mit einem sehr kurzweiligen Spiel belohnt. Die Einzelspielerkampagne könnte jedoch länger sein.
PRO: Die interessante Kampagne, in der es diesmal richtig „menschelt“; die wöchentlich erscheinenden Black Ops Missionen; hunderte Stunden mit dem Multiplayer zu verbringen.
CONTRA: Die Kampagne ist sehr kurz (ca. 6 Stunden); die Spartans Ops Missionen stellen keine echte Herausforderung dar; manche Gameplay-Elemente wurden nicht weiterentwickelt.
Abschließende Beurteilung
Spiel: 9,0
Spaßfaktor: 9,25
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