Lara Croft ist tot. Diesmal wurde sie von Wölfen in Stücke gerissen. Der Tod ereilte sie zuvor auch schon auf manch andere Weise: Felsen, Bärenfallen, Eisenspitzen durch den Hals – jede dieser übertriebenen Exekutionen eine Demonstration der Verletzlichkeit. Diese schockierenden Momente vermittelten ihre Botschaft reichlich plump, aber dafür laut und klar: Lara Croft, die neue Lara Croft, ist keine Meisterschützin und Superheldin. Sie ist eine unerfahrene Abenteuerin, die unerwartet in eine entsetzliche Abfolge von Ereignissen hineingerät. Das einzige, das überraschender ist als die Brutalität, die Lara im Laufe von Crystal Dynamics Tomb Raider Reboot erdulden muss, ist, dass die ganze Spielerfahrung so ausgereift ist. Tomb Raider ist ein fantastisches Spiel und eine exzellente Anfangsgeschichte für eine der allerersten Schatzsucherinnen der Videospielgeschichte.
Nachdem Sie im rahmen ihrer allerersten Archäologieexpedition auf einer mysteriösen Insel gestrandet ist, gerät Lara von einer Situation, in der es um Leben und Tod geht, in die nächste. Ihre Crew wird vermisst und die anscheinend einem Kult angehörenden Inselbewohner sind erpicht darauf, sie zu töten. Der dunkle, Besorgnis erregende Ton der Story wird gleich zu Beginn etabliert und während der rund 15 Stunden langen Kampagne von Tomb Raider ohne Unterbrechung beibehalten. Diese Beständigkeit sorgt für jede Menge Spannung und Faszination, weshalb man begierig ist, immer weiterzuspielen, um herauszufinden, was als nächstes passiert.
Im Laufe des Spiels müssen Sie neben jeder Menge Platforming und Erkunden der Umgebung auch immer wieder ausgeklügelte Rätsel lösen und gelegentlich gegen Gruppen beängstigender Feinde kämpfen. Nachdem Sie das umfangreiche Tutorial von Tomb Raider absolviert haben, kann das Gebotene problemlos mit den besten Momenten von Uncharted mithalten – und das ist nicht einfach so dahergesagt. Während Uncharted vor allem mit Nathan Drakes Charme, seinem Platforming-Können und seiner Fähigkeit, Typen in den Kopf zu schießen, ohne depressiv zu werden, überzeugt, sind exzellentes Pacing und eine unheilvolle Überlebensstory das Fundament von Tomb Raider.
Die Entwicklung von Laras Charakter ist ein integraler Bestandteil der Spielerfahrung. Sie ist weit von der eleganten und gewandten Abenteurerin entfernt, die sie gekannt haben. Statt einer aufgedonnerten Revolverheldin haben wir es diesmal mit einer echten Frau zu tun, die intelligent und fähig und bereit ist, alles auf sich zu nehmen, was notwendig ist, um am Leben zu bleiben. Es ist beunruhigend, wie einige wirklich verstörende Situationen meistert – mitunter ist Tomb Raider eher Survival Horror als Action-Abenteuer -, aber sie wird damit fertig, weil die einzige Alternative der Tod ist. Das Spiel gipfelt in ihrer Entwicklung von einer unerfahrenen Forscherin zu einer gestandenen Überlebenskünstlerin. Leider ist diese Charakterentwicklung nicht im selben ausmaß bei den Nebencharakteren zu bemerken. Ihre ebenfalls gestrandeten Freunde sind ziemlich generische Charaktere, die einem zwar nicht auf die Nerven gehen, aber auch nicht in Erinnerung bleiben.
Aber was diesen Charakteren an Anziehungskraft fehlt, wird von der unglaublichen Persönlichkeit und geheimnisvollen Magie der Insel mehr als wettgemacht. Es ist ein bizarrer Ort, an dem es von uralten Schreinen, Bunkern aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs und allen möglichen Relikten aus vielen Jahrhunderten nur so wimmelt. Es ist immer klar, dass etwas Seltsames vor sich geht und die Geheimnisse der Insel werden Sie bis zum Schluss auf die Folter spannen. Sie werden sehr unterschiedliche Umgebungen erkunden, die in Hub-artige Zonen aufgeteilt sind, während Sie versuchen, das Geheimnis der Insel zu ergründen. Von unterirdischen Ruinen und schneebedeckten Berggipfeln bis hin zu üppigen Wäldern und steilen Klippen wirkt kein Gebiet wie ein Aufguss eines anderen und die Detailtreue in jedem einzelnen ist beeindruckend.
Während Laras Reise stoßen Sie auf viele Gefahren. Fallen, feindliche Kultisten und wilde Tiere stehen Ihnen im Weg. Fast jeder Kampf ist wirklich ein Kampf auf Leben und Tod und nicht einfach nur eine weitere Schießerei und Sie werden nur sehr selten mehr als fünf oder sechs Feinden auf einmal begegnen. Die AI der Feinde ist über weite Strecken hervorragend: die Feinde werfen zum Beispiel Tische um, um Barrikaden zu bilden und schießen Leuchtraketen ab, um Hilfe herbeizurufen. Das Beste ist jedoch, dass sie oft sehr realistisch auf Ihre Schüsse reagieren. Wenn Sie zum Beispiel einem Feind ins Bein schießen, geht er zu Boden und Sie können ihn dann problemlos erschlagen oder erstechen.
Laras Unerfahrenheit macht sich zu Anfang bemerkbar, denn da sind ihre Schüsse mit Pfeil und Bogen noch schwach und ungenau. Indem Sie Feinde besiegen, Rätsel lösen und die vielen Sammlerstücke finden, die überall auf der Insel verborgen sind, erhalten Sie Erfahrungspunkte sowie Ressourcen, mit denen Sie Laras Fähigkeiten (Skills) und Waffen verbessern können. Andere Spiele, die versuchen, den Erfahrungsgewinn eines im Schießen ungeübten Charakters nachzugestalten, bringen es nicht annähernd so gut hin wie Tomb Raider – am Ende des Spiels ist Laras Verwandlung in eine kampfstarke Heldin deutlich bemerkbar und wirkt natürlich.
Aber in Tomb Raider dreht sich nicht alles ums Kämpfen. Es ist durchaus normal, sich eine fünfminütige Schießerei mit einer Gruppe von Feinden zu liefern und dann 45 Minuten lang überhaupt niemandem zu begegnen. Diese Pausen zwischen den Kämpfen sind angefüllt mit großartigen Platforming-Abschnitten, cleveren Puzzles und hochspannenden Momenten, die den Adrenalinspiegel zum Steigen bringen. Das Pacing ist nahezu perfekt. Sogar die Abstände, in denen Lara neue Waffen und Ausrüstung erhält – etwa Pfeile, an denen ein Seil befestigt ist und die in manchen Zonen der Insel neue Bereiche eröffnen –, sind sehr klug gewählt, wodurch sichergestellt ist, dass Sie bis zu den allerletzten Kapiteln neue Gegenstände erhalten.
Schon allein Tomb Raiders Einzelspielerkampagne ist den Kaufpreis wert, aber der Multiplayer-Teil ist eine willkommene Ergänzung für alle, die sich nach einem höheren Wiederspielwert sehnen. Die Multiplayer-Karten sind gefüllt mit Vorsprüngen, die man erklimmen kann, Seilrutschen und levelspezifischen Fallen, die perfekt sind, um zu einfachen Kills zu kommen. Es gibt auch einige ziemlich gelungene Modi, die dazu angetan sind, das Interesse einige Zeit aufrecht zu erhalten, etwa Cry for Help, in dem Ihr Team eine Reihe von Kontrollpunkten erobern muss, ehe das andere Team 20 Spieler tötet und ausplündert. Doch insgesamt wirkt der Multiplayer nicht voll ausgereift und bietet auch zu wenige Neuerungen, weshalb nur wenige nach einem Dutzend Matches noch bei der Sache bleiben werden.
Selbst wenn Sie kein großer Fan von Lara Crofts Schatzjäger-Abenteuern gewesen sind, wird Sie Tomb Raider beeindrucken. Das exzellente Pacing, die fesselnde Insellandschaft und der düstere Ton kreieren eine Spielerfahrung, die lange in Erinnerung bleiben wird. Lara Croft, die alte Lara Croft, ist tot. Statt der weltgewandten, eleganten Revolverheldin ist sie nun eine Überlebende, die bereit ist, alles auf sich zu nehmen, um am Leben zu bleiben – und ich hoffe, dass sie von den Abenteuern noch nicht genug hat.
PRO: Die neue Lara Croft; das fesselnde Setting; das genau richtig gewählte Spiel- und Upgradetempo.
CONTRA: Die Nebencharaktere sind nicht interessant; der langsame Start; der kompetente, aber nicht weltbewegende Multiplayer.
Abschließende Bewertung
Spiel: 9,0
Spaßfaktor: 8,75
Das Spiel wurde für den Test auf der Xbox 360 gespielt.
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