Lernen Sie die Familie Rogers kennen. Diese netten Leute leben in dem winzigen Haus. Sie waren unter den ersten Familien, die sich in meiner aufstrebenden Metropole Windfall Islands ansiedelten. Sie sind fixe Größen meiner Stadt, den sie blieben stets am selben Ort, im selben Haus, seit gefühlten Ewigkeiten.
Zumindest glaube ich, dass es die Familie Rodgers ist.
Nicht alle, die in dem Haus wohnen – und die Zahl der Bewohner ändert sich von Tag zu Tag -, heißen wirklich Rogers. Jeden Tag betreten und verlassen Personen aller Alterstufen, aller Rassen und beiderlei Geschlechts das Haus, weshalb es sich auch um adoptierte Verwandte handeln könnte, die sich allesamt ein Heim teilen. Vielleicht ist es auch ein Gruppenwohnheim. Ich weiß es nicht.
Nicht alle von ihnen haben Jobs. Das ist verständlich, denn Familie Rogers war bettelarm, als sie an diesen Ort zog, und ist es bis auf den heutigen Tag geblieben, denn aus irgendeinem Grund hat niemand in Windfall Island bemerkt, dass ihr Wohnblock nicht nur am Wasser liegt, sondern auch über fantastische Verkehrsanbindung verfügt. Noch dazu ist das Haus von saftigen grünen Feldern umgeben.
Mir ist zu Ohren gekommen, dass sie neidische Blicke auf den einzelnen Wohnturm inmitten meines unter der Verschmutzung fast erstickenden Industrieviertels werfen, aber der Supermarkt und der vereinsamte Barbecue-Platz auf der anderen Straßenseite haben den Wert des Landes dort so emporschießen lassen, dass die Rodgers sich das nie werden leisten können. Schade. Sie müssen sich wohl bis auf weiteres mit dem Blick auf den Ozean und der frischen Luft zufriedengeben.
Wie alle Familien haben auch sie ihre Probleme mit der Stadt. Sie beschweren sich regelmäßig, dass es keine Möglichkeit zum Einkaufen gibt. Dabei befindet sich gleich jenseits der Brücke ein ganzer Shoppingbezirk und ganz in der Nähe ihres Hauses hält der Bus, der dorthin fährt. Aber das ist nicht wichtig.
Wichtig ist, dass die Rogers vermeintliche Probleme haben.
Und die sind bekanntlich schlimmer als echte, denn für die Familie Rogers gibt es kein Entkommen aus der Blase der Unzufriedenheit, in der sie gefangen ist.
Die Rogers sind ungebildet, obwohl es nur wenige Blocks entfernt eine öffentliche Schule gibt. Sie sind kränklich und fühlen sich unwohl, obwohl es ganz in ihrer Nähe eine brandneue, hochmoderne Klinik gibt. Aber ihre größte Sorge, diejenige, die wie eine dunkle Wolke über ihrem Haus liegt, ist, dass sie nicht genügend Platz haben, um ihre Bleibe zu vergrößern - und das, obwohl sie in Wirklichkeit nichts außer Platz haben.
Ich könnte mich über die Rogers aufregen. Oder sie zumindest als frustrierend empfinden. Meine Leistung als ihr Bürgermeister basiert nicht auf den Lösungen für ihre Probleme und Beschwerden, die ich bereits erwähnte, sondern darauf, wie sie meinen, dass ich sie löse. Oder, in ihrem Fall, wie sie meinen, dass ich sie nicht löse, denn wie könnte ich Probleme lösen, die sich nicht dadurch lösen lassen, dass man sie löst?
So absurd und unlogisch ihre Probleme auch sein mögen, ich kann ihnen keinen Vorwurf machen. Es ist nicht ihre Schuld, dass sie so – aus Ermangelung eines besseren Ausdrucks – dumm sind.
Stattdessen tun sie mir ein wenig leid. Ich frage mich oft, wie sie sich fühlen, wenn sie in der Früh aufstehen, ihr „bescheidenes“ Heim verlassen und zu allererst die glänzenden Stahltürme des kommerziellen und administrativen Herzens von Windfall sehen. Sehnen Sie sich nach einen höheren Lebensstandard? Nach sinnvollerer Beschäftigung? Das könnte erklären, warum sie keinen Job länger als einen Tag haben.
Ich habe gehört, dass in der Stadt in den vergangenen paar Wochen enorme Veränderungen vorgenommen wurden, um Leuten wie den Rogers zu helfen. Ihnen zu helfen, bessere Jobs zu finden, zufriedenere Leben zu leben, an Kreuzungen rechts abzubiegen. Wie man es von allen Versprechen der amerikanischen und auch der britischen Regierung gewohnt ist, will sich auch hier der sogenannte „Trickle-Down Effekt“ nicht einstellen. Jeden Tag gehen Sie, wie ein Uhrwerk, bis ans Ende ihrer Straße, drehen sich um und gehen zurück, immer und immer wieder, bis die Sonne untergeht. Sie müssen Spione, Drogendealer oder Hamster sein.
Sie sind einfache Leute, die Rogers. Sie haben Bedürfnisse, genau wie alle anderen. Nur dass sie darauf bestehen, dass man ihre Probleme ernst nimmt, wenn diese Probleme bereits gelöst sind. Das könnte erklären, warum sie stets unzufrieden sind. Und auch, warum Sie, genau wie ich, denken, dass sie so verrückt sind, dass sich die Mühe einfach nicht lohnt.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen