Lana Del Rey: Lust for Life (Polydor)
Die meisten Popstars verändern sich und ihren Sound mit jedem neuen Album, eine nervenaufreibende, gehetzte Strategie, die scheinbar perfekt zu den hektischen Audio-Produktionswerten der Gegenwart passt. Doch das ist einer Lana Del Rey unwürdig.
Die zeitlose 32-jährige Künstlerin entdeckte als ideales Ausdrucksmittel für sich einen trägen Sound, leidenschaftslosen und Gesang und eine Reihe von Obsessionen, erstmals zu hören auf dem 2012 erschienenen zweiten Album Born to Die. (Ja, ich lasse Lana Del Rey a. k. a. Lizzy Grant nicht unter den Tisch fallen.) Auf ihrem nunmehr fünften Album weicht sie von ihrem Stil keinen Millimeter ab. Ein feiner Song fast ihr gesamtes Oeuvre zusammen: der Titel „Summer Bummer“ (der ohne die Rapeinlagen noch besser wäre) spiegelt die ständig hohe Quecksilbersäule von Del Reys Mises-en-scène wider; und in der Mitte ihres perfekten Pfirsichs befindet sich für gewöhnlich ein Wurm. Der Reim lässt erkennen, dass all dieser glänzende Nihilismus oft mit einem Augenzwinkern dargeboten wird.
Zumindest drei Veränderungen unterscheiden Lust for Life von seinen Vorgängern. Eine ist die Fülle an Gaststars, eine Konzession an die Modernität. Die üblichen männlichen Stars – Rappers A$AP Rocky und Playboi Carti – verleihen Del Reys angenehm dahingleitender Musik symbolischen Mumm. Doch man möchte die Faust gen Himmel recken, wenn Stevie Nicks in „Beautiful People, Beautiful Problems“ auftaucht– Nicks’ gleichmäßiger Gesang ist so offensichtlich ein Vorläufer von Del Reys Gesangsstil. Der Titel ist fast Selbst-Parodie, doch der Rest hat mehr Tiefgang, als man von Del Rey Songs gewohnt ist, und verbindet einen Fetisch für muskulöse Arbeiter mit Öko-Angst.
Das ist kein Einzelfall. Einige der hier versammelten Songs befassen sich nicht mit Del Reys Lieblingsthema - Unaufrichtigkeit, vergoldet -, sondern widmen sich nicht-solipsistischen Dingen. Die zweite Veränderung ist, dass dies ein Album über die USA von heute ist. „God Bless America – and All the Beautiful Women in It“ trägt seinen Titel wie eine Pussy-Mütze; wears its title like a pussy hat; der Refrain ist mit Pistolenschüssen durchsetzt.
Das gespenstische „When the World Was at War We Kept Dancing“ weckt Erinnerungen an die 1940er, während es die Frage aufwirft: “Is it the end of an era? Is it the end of America?” Del Rey blickt über die Menge am Coachella und macht sich Sorgen um ihre Kinder und Kindeskinder. “I said a prayer for the third time“, seufzt sie.
Wenn dies ein Album über die USA ist, dann ist es auch ein Album über Americana und andere ehrwürdiges Quellmaterial: der „Coachella“ Song trägt den Untertitel „Woodstock in My Mind“. Trotz der Rappers macht der Hip-Hop-Bestandteil von Del Reys Sound zumeist kanonischen Genres Platz – die dritte Veränderung.
Millennials werden hier ein Abonnement von Uncut oder Mojo nützlich finden, denn Del Rey lässt zahlreiche Retro-Bomben fallen. “Don’t worry baby”, säuselt sie auf „Love“ (Beach Boys). “My boyfriend’s back”, merkt sie auf „Lust for Life“ an (The Angels), ihrer seltsam matten Zusammenarbeit mit The Weeknd, die von Iggy Pop inspiriert ist. Es wird ein bisschen lächerlich, wenn Sean Ono Lennon bei einem Beatles Potpourri namens „Tomorrow Never Came“ mitmacht, das mit umfangreichen Interpolationen vollgestopft ist. “Lay lady lay”, singt Del Rey, “I would be your tiny dancer.” Es ist ein Beweis für Lana Del Reys überzeugendes Talent, dass dabei trotzdem ein guter Song herauskommt. Mädchen trifft Jungen. Junge taucht nicht auf, obwohl er es versprochen hat. Liebe endet mit einer Enttäuschung. Wiederholen bis zum Fade-out.
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