Eingängiger Country-Pop von Miley v4.0
Miley Cyrus: Younger Now (RCA)
Man könnte fast Mitleid mit Pop-Diven empfinden. Alle ihre Bewegungen und Äußerungen werden von Fans, „haters“ und professionellen Medienbeobachtern auf ihre mögliche Bedeutung hin untersucht und heftig diskutiert. Jede Geste ist aufgeladen; jede stilistische Nuance bietet neuen Stoff für unerbittliche Kommentare, ein Prozess, dem sich Miley Cyrus nun einmal mehr ausgesetzt sieht. Mit ihrem aktuellsten Album Younger Now vollzieht der Kinderstar, der zum Pop-Provokateur wurde, nach zwei radikal unterschiedlichen Werken, dem 2013 erschienenen Bangerz (Party-R&B) und dem 2015 veröffentlichten Miley Cyrus & Her Dead Petz (Kiffer-Pop, gratis erhältlich), einmal mehr einen deutlichen Wandel.
Man kann Younger Now auf eine von zwei Arten hören. Es ist entweder ein erfreuliches Werk mit deutlichem Country-Einschlag, das mit vielen hübschen Melodien Mileys jüngere Vergangenheit thematisiert und ihre Patentante Dolly Parton für einen Track namens „Rainbowland“ (zugleich der Name von Cyrus' Aufnahmestudio) einspannt, in dem sie sich eine Art Utopie ausmalen, in der der „Southern Twang“ allgegenwärtig ist. Dies ist Cyrus au naturel, Tochter des Country-Stars Billy Ray Cyrus, frei von Gimmicks, #unfiltered. Alternativ kann man Younger Now als pure weiße Flucht sehen, einen Rückzug ins Americana-Herzland, nachdem sie selbstbewusst großen R6B-Künstlerinnen nacheiferte und den Eindruck erweckte, kugelsicher zu sein.
Younger Now klingt, als wären Cyrus und/oder ihre Plattenfirma in Panik verfallen und hätten „Reset“ gedrückt.
Die Mütter keiner Mädchen können sich also freuen: Younger Now ist eine twerk-freie Zone. „Malibu“ ist ganz kalifornischer Sonnenschein und aus Liebe gezeichnete Herzchen, gerichtet an Cyrus’ On-off-on-Verlobten; im Video tollt Cyrus sittsam herum. Das Album ist nicht gänzlich rückwärtsgewandt: einige Tracks klingen nach 2017. „Thinkin’“ ist ein Rückblick auf Pop-R&B, während „Bad Moon“, einer der besten Songs dieses Werks, verführerisch schmollt. Produzent Oren Yoel, der alle Instrumente spielt, kam in der Bangerz Ära an Bord, weshalb der produktionstechnische Aspekt des Albums keine Kehrtwende darstellt.
Und doch ist „Week Without You“ ein weiterer „old-time charmer“, mit dem ein Trio ehrlicher, ungekünstelter Liebeslieder beginnt. Die beiden anderen heißen „Miss You So Much“ und „I Would Die for You“. Den Abschluss des Albums bildet „Inspired“, eine Ballade, die um den Planeten besorgt ist. Im Video für den Titelsong ist eine Puppe zu sehen; Cyrus ist wie ein Sweetheart of the Rodeo der 1950er gestylt. In den Texten bringt Cyrus ihre Entschuldigungen zügig vor: “No one stays the same”, singt sie, während sich eine Tänzerin kopfüber an einer Stange dreht. “Even though it’s not who I am/I’m not afraid of who I used to be.”
Man ist versucht, den Schluss zu ziehen, dass das frühere Selbst, das Cyrus nun unerschrocken anerkennt, ja würdigt, Hannah Montana ist, nicht das einen „grill“ tragende, Molly erwähnende „Partyluder“ von „We Can’t Stop“ (Molly ist Ectasy). Bangerz brachte ihr den Vorwurf von „cultural appropriation“ ein; als eine R&B-freie Zone betätigt Younger Now, dass Cyrus nur eine kulturelle Touristin war. Das ist schade, denn Cyrus interpretierte R&B gut und lockerte mit ihrer geschmeidigen Stimme und einem verrückten Sinn für Spaß einen oft grimmigen Sound auf; Mike Wills Imprimatur auf die Produktion verlieh dem ganzen Unterfangen Gewicht.
Younger Now ist nicht unbedingt ine Fehlschlag, sondern einfach nur der Sound, der herauskommt, wenn Cyrus und/oder ihre Platenfirma in Panik geraten und zu den Wurzeln zurückkehren, um an alte Erfolge anzuschließen. Und diese kulturelle Furcht – dass diese theoretisch mit Teflon überzogene Pop-Künstlerin das so dringende Bedürfnis verspüren würde, ihren “hood pass” (nun ja, ihren fiktiven “hood pass”) zurückzugeben – ist das Traurigste an diesem Album, auf dem sich eine junge Frau einmal mehr verliebt gibt. Kurz gesagt: Miley Cyrus möchte wieder weiß sein.
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