U2: Songs of Experience (Interscope)
Die1990er waren ein Jahrzehnt, in dem U2 völlig egal war, was Kritiker und Publikum von ihnen hielten. Sie machten einfach, was sie wollten. Die Veröffentlichungen dieser Ära die mit dem unübertroffenen, ihre Karriere neu definierenden Achtung Baby aus dem Jahre 1991 begann, führten allen deutlich vor Augen, dass die Band ihren Bowie-artigen Impulsen mit beeindruckender Wirkung frönte. Das 1993 erschienene Zooropa klang, was wäre es im Weltraum aufgenommen worden; Pop aus dem Jahre 1997 krachte die Band auf die Erde zurück, noch dazu auf eine spiegelnde Discokugel; dazwischen schrieb sie einen Soundtrack für einen nicht existierenden Film, auf dem Luciano Pavarotti auf einem Track zu hören war. Die Musik, die die Band in dieser Periode produzierte, ist das mutigste, modernste Songwriting ihrer gesamten Karriere. Es war eine wunderbare Zeit, ein U2 Fan zu sein. Auch wenn Sie in Eutotrash-Aufmachung aus einer Zitrone hüpften oder ihre Tour ironischerweise in der Unterwäsche-Abteilung eines Kmart ankündigten, war alles Kunst, Baby!
In dieser prachtvollen Eigenartigkeit ist ein Text von „The Fly“ enthalten, der, während U2 die fünfte Dekade ihrer Karriere beginnen, prophetisch erscheint: “It’s no secret that ambition bites the nail of success.” Während die Band nach der relativen kommerziellen Enttäuschung, die das Album Pop darstellte, in die 2000er stolperte, rebooteten U2 für All That You Can’t Leave Behind , einem Zurück-zu-den-Wurzeln-Album, mit dem sie ganz offen den Charterfolg suchten – in den Interviews war ständig das Wort „rlevance“ zu hören -, erneut ihren Sound, obwohl die superreichen Musiker leicht den Rest ihres Lebens damit zubringen könnten, Weltraum-Rockopern zu schreiben. Stattdessen sind U2 seit 17 Jahren eine Band, die außer Leerlauf wenig zu bieten hat.
Songs Of Experience, U2s 14. Studioalbum, ist ziemlich ambitioniert – mit peinlichem Resultat. Die Gruppe sucht darauf verzweifelt nach einem großen Hit, während sie über US-amerikanischen „exceptionalism“ doziert und die Flüchtlingskrise nicht bloß in eines, sondern gleich zwei Liebeslieder hineinzwängt, die noch dazu gleich hintereinander zu hören sind. Hier setzt Bono auch erstmals auf einem Album den Vocoder ein (was sicher “Bono Iver” Rufe von den billigen Sitzen zur Folge haben wird). Es ist das Werk einer Band, die zu sehr darum besorgt ist, wie sie beim Publikum ankommt.
Songs Of Experience borgt sich seinen Titel von William Blake und ist auf gewisse Weise der Abschluss von Songs Of Innocence aus dem Jahre 2014, jenem berüchtigten Album, das unaufgefordert in den „libraries“ aller iTunes-Nutzer auftauchte. In Innocence schreibt der junge Paul Hewson, ehe er unter dem Spitznamen “Bono” berühmt wurde, in seinem Kinderzimmer Songs und sucht nach Mitteln und Wegen, dem Norden Dublins zu entfliehen. Auf Experience, produziert von Jacknife Lee und OneRepublics Ryan Tedder, haben Bono und Co. endlich gefunden, wonach sie suchten. Die Lektionen, die sie auf diesem Weg gelernt haben, sind nicht sonderlich profund.
Spoiler-Warnung: “Love Is All We Have Left”. “Love Is Bigger Than Anything In Its Way”. Liebe ist eine unaufhaltsame Macht, weshalb man sich ihrer Großartigkeit ohne Wenn und Aber unterwerfen soll. In der blendend sonnigen ersten Signle “You’re The Best Thing About Me”— der Jimmy Fallon der U2 Songs – wird dies mit all der Raffinesse eines Trabant, der einen über den Haufen fährt, artikuliert: “You’re the best thing about me / The best thing that ever happened a boy.” The lyrics don’t get any more nuanced even when the subject matter gets weightier. “You! Are! Rock and roll!” heult Bono — unerträglich – in „American Soul“ über seine geliebten USA, wobei er von Kendrick Lamar unterstützt wird. Der Text beschwört sogar einen “Refu-Jesus”, eine Wortkreuzung von David Brent-artiger Unerträglichkeit.
Sogar “Red Flag Day”, ein Track mit Garage-Rock-Absichten und de Potenzial, das Publikum zum Hüpfen zu bringen, kommt so einem quietschenden Stopp, wenn Bono singt: “So many lost in the sea last night / One word that the sea can’t say, is no! / No! Nooooo! Nooooo!” Sie haben es erraten: Es ist eine Mittanznummer über im Mittelmeer ertrinkende syrische Flüchtlinge. Dann ist da “The Blackout”, in dem in der Art von Paul Simon rund um Naturkatastrophen gereimt wird: “Earthquakes always happen when you’re in bed, Fred / The house shakes, maybe was it something I said, Ned.” Später reimt er “Jack” auf “Zach.”
Ein wenig von dem reizvollen Zynismus der Achtung Ära taucht in “The Showman (Little More Better)“ wieder auf - “The showman prays his heartache will chart / Making a spectacle of falling apart”—, was Bono über einer musikalischen Begleitung singt, die an eine Buddy-Cop-Montage oder einen Werbespot für ein Arthritismedikament aus den 80ern erinnert. Doch über weite Strecken ist Experience durch leere Sentimentalität gekennzeichnet, die in leblose Hooks und banale Melodien gekleidet ist, an die sich in 20 Jahren nur wenige U2 Fans erinnern werden – mitsingen werden sie dann sicher nicht. Nur in den Schlussmomenten gibt es mit “13 (There Is A Light)”, einer langsamen, klappernden Umarbeitung von Songs Of Innocences “Song For Someone”, etwas, das ansatzweise an Katharsis heranreicht. Aber an diesem Punkt wird das wohl fast allen Hörern egal sein.
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