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Sharon Van Etten: Remind Me Tomorrow (Albumkritik)

 

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Sharon Van Etten: Remind Me Tomorrow (Jagjaguwar)

 

 

Wie alle vorherigen Alben Sharon Van Ettens befasste sich auch das 2014 erschienene Are We There mit einer früheren toxischen Beziehung – wechselseitige Abhängigkeit eingebettet in eine bitter Kombination von Misshandlung und Zuneigung. Sein Nachfolger beginnt mit einem Track, der in Form einer Meta-Beichte auf diese Zeit der beunruhigenden Offenbarung der innersten Seelenregungen anspielt: In „I Told You Everything“ gibt Van Etten die Details ihrer traumatischen Vergangenheit gegenüber einem mitfühlenden neuen Partner preis, aber nicht gegenüber den Hörern. Auf diese Weise wird das Leid der Musikerin eingestanden, aber die Story doch langsam weiterentwickelt, denn es wird angedeutet, dass die in New Jersey geborene Künstlerin nun ein anderes Leben führt (dies wird durch ihre hektisch klingende jüngste Biographie bestätigt: in den letzten vier Jahren hat sie ein Kind bekommen, erste Rollen in TV-Serien übernommen und zu studieren begonnen, weil sie Therapeutin werden möchte). Diese Veränderungen spiegeln sich im Sound von Remind Me Tomorrow wider, einer Sammlung von Songs, für die Van Etten die für sie typische Gitarre zunehmend in den Hintergrund treten lässt, um vermehrt auf Klavier, alte Synthesizer und andere Klänge zu setzen.

 

Van Etten ist nicht die einzige, die sich entschlossen hat, mit dem Strumming aufzuhören und stattdessen auf elektronische Instrumentierung zu setzen – man hat das Gefühl, als habe in den letzten paar Jahren die Hälfte der Rock- und Indie-Künstler des Planeten diesen musikalischen Wandel vollzogen. Aber man hat nie das Gefühl, dass die Musikerin eine Trittbrettfahrerin ist. Stattdessen verpasst dieser neue Stil ihrem Handwerkszeug – wunderschöne, zeitlose Melodien, textliche Innenschau und rauer, schwermütiger Gesang – einen neuen glänzenden Anstrich, der zwischen einer heiteren 80er-Jahre-Nostalgie und düstereren Untertönen hin und herspringt. Zu den nostalgischen Songs zählen die erste Single „Comeback Kid“, die ihr gefühlvolles Porträt eines straffälligen Jugendlichen mit einem galoppierenden Breakbeat und einer stotternden Synthesizer-Linie kombiniert; „Malibu“, eine Hommage an die Jugend des ausklingenden 20. Jahrhunderts mit einem kleinen roten Auto als Medium; und das erstaunlich eingängige, an Springsteen erinnernde „Seventeen“. Als Gegengewicht zu diesen sofort im Gedächtnis bleibenden Stücken von Retro-Jubel dienen geheimnisvollere atmosphärische Stücke: „Jupiter 4“ ist ein gespenstisches Liebeslied, das an Suicide erinnert; „Memorial Day“ ist eine unheimliche Americana-Nummer. Ob Van Etten über die Gegenwart nachgrübelt oder sich nach der guten alten Zeit sehnt, der generelle Eindruck bleibt derselbe: dieses ambitionierte, fesselnde Album wirkt wie das Werk einer Künstlerin, die ihre bedeutenden Talente mit neu entdecktem Selbstbewusstsein voller Überzeugung einsetzt.

 

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