Vai Anitta, die Netflix-Dokumentarserie, die das Leben eines der größten Popstars Brasiliens schildert, beginnt mit einem Versuch, die enorme Popularität der 26-jährigen Sängerin in einer Schnellfeuer-Montage zu veranschaulichen. Über Bildern von weinenden Fans und Horden frenetisch hüpfender und tanzender Konzertbesucher werden die Statistiken präsentiert: Anitta hat es auf YouTube bereits auf mehr als 2,6 Milliarden Videoaufrufe gebracht; sie ist in Brasilien die am häufigsten gestreamte brasilianische Künstlerin; all ihre Singles schafften den Sprung an die Spitze der Radiocharts ihres Heimatlandes. Doch trotz ihrer Berühmtheit in der Portugiesisch sprechenden Welt ist sie in weiten Teilen Nordamerikas und Europas relativ unbekannt. Doch da der Latin Pop zunehmend auch Europa und die englischsprachigen Länder erfasst, dürfte sich das in absehbarer Zeit ändern. Kisses, Anittas viertes Album, scheint ausdrücklich gemacht worden zu sein, um ihr den Durchbruch in Europa und Nordamerika zu bescheren. Sie singt darauf in einer Mischung aus Portugiesisch, Spanisch und Englisch, und es ist ihr erstes Album, an dem auch US-Stars mitwirken - sie möchte diese bekannten Namen nutzen, um den Sprung in die Charts im Norden zu schaffen, während die Gaststars sicher nichts dagegen haben, mit Anittas riesigem Publikum in Südamerika in Kontakt zu kommen.
Einige dieser Zusammenarbeiten zwecks Umsatzsteigerung sind erfolgreicher als andere. Zu „Onda Diferente“ steuert Snoop Dogg einen Rap bei, der zugleich extrem träge und verstörend pervers ist, während Swae Lee von Rae Sremmurd seinen wohlklingenden, mit Auto-Tune bearbeiteten Sprechgesang in „Poquito“ einfließen lässt, einen 08/15-Popsong, der nicht lange in Erinnerung bleibt. Andere Songs, etwa das mit Unterstützung von Becky G entstandene „Banana“, haben mehr Charakter. Der Track ist ein Tumult aus hyperaktiver Produktion und absurdem Innuendo und ein perfektes Vehikel für Anittas selbstbewussten Ausdruck von Sexualität; darüber hinaus wartet er mit einigen witzigen Textpassagen auf (“Oh Willy Wonka, how you get so tasty? / Mama made a boy but she should have made a pastry”). Doch diese spürbare Persönlichkeit macht sich nicht in jedem Song bemerkbar, und der Umstand, dass Kisses sich nie weit von der Latin-Pop-Formel entfernt – das Album baut auf funklastigen Grooves und flackernden Trap Beats auf, gewürzt mit einer kräftigen Prise Reggaeton –, macht es zu einem Album, das eher ein die Massen begeisterndes Zeichen der Zeit ist als ein aufregendes musikalisches Unterfangen.
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