Digitales Leben ist wenig wert. Der typische Spieler hat unzählige Feinde getötet, von Aliens bis hin zu Nazis – und alles dazwischen. Während die meisten Shooter ununterbrochene Action bieten, legte das erste Sniper Elite Spiel großen Wert auf Strategie und Geduld. Wenn Sie Ihren Feind nicht mit einer wohlplatzierten Kugel töten, erledigen Sie Ihren Job nicht richtig. In Sniper Elite V2 ist das nicht anders, nur dass nun eine neue X-Ray Kill Cam dafür sorgt, dass Sie die Konsequenzen der von Ihnen abgegebenen Schüsse in grausamen Details mitverfolgen können.
In der Mission, die ich spielen durfte, ging es unter anderem darum, in die Mittelwerk Fabrik einzudringen, eine echte Fabrik Nazi-Deutschlands, in der während des Zweiten Weltkriegs die V2 Raketen hergestellt wurden. Ich hatte in der vorangegangenen Mission schon einen gewissen Dr. Gunther Kriedl getötet, der Informationen bei sich trug, die mich an diesen Ort führten. Die Kugel, die Dr Kriedl tötete, brachte mir meinen ersten „2 for 1“ Bonus ein, denn sie durchschlug den Bauch eines fliehenden deutschen Soldaten, ehe sie sich in die Brust des kauernden Doktors bohrte. Wie viele Schüsse, die noch folgen sollten, wurden diese Tötungen durch die Zeitlupenverfolgung der Kugel auf ihrem Weg besonders hervorgehoben, die in einen Röntgenblick auf die inneren Verletzungen, die den Opfern durch das Projektil zugefügt wurden, mündete. Zwei Punkte für die Alliierten.
Die Röntgenkamera zeigt den Effekt eines Schusses des Scharfschützen in allen blutigen Details.
Ich beginne die Mission „Mittelwerk Fabrik“ am Fuße eines Wachturms, der das Hauptgelände überblickt. Ein zweiter Wachturm ist weit entfernt im Osten auszumachen. Dazu kommen noch einige Wachsoldaten, die sehr verlässlich und berechenbar ihre Runden drehen. In dieser Mission wird die neue Mechanik, den Lärm der eigenen Schüsse mit Hilfe von plärrenden Nachrichten aus einem Radio zu übertönen, das in unregelmäßigen Abständen über die Lautsprecher der Anlage zu hören ist – zu diesem Zweck erscheint in einem Eck des Bildschirms ein Symbol, das anzeigt, wann halbwegs sicher geschossen werden kann. Ich eliminiere schnell den Soldaten, der auf dem Wachturm über mir Wache schiebt, und erklettere den still und heimlich den Turm, um den zweiten Schuss abzufeuern. Ich versuche auf den Focus Modus zu verzichten, der die Zeit verlangsamt und genau zeigt, wo Ihre Kugel treffen wird, wodurch ein großer Teil der Herausforderung eliminiert wird. In Sniper Elite V2 können Sie Fähigkeiten der Feinde (enemy skill), ballistischen Realismus und taktische Unterstützung (tactical assistance) individuell anpassen und so entscheiden, wie realistisch Ihre Spielerfahrung sein soll. Ich entschied mich, die taktische Unterstützung eingeschaltet zu lassen, aber so wenig als möglich darauf zurückzugreifen.
Statt den Focus Modus zu benützen, schätze ich die Entfernung zum nächsten Turm und kompensiere, indem ich ein wenig tiefer ziele. Mein erster Schuss geht an dem ahnungslosen Wachsoldaten vorbei, aber dank der unverständlichen Botschaft, die aus den Lautsprechern ertönt, bemerkt es niemand. Ich lade nach und ziele noch ein wenig tiefer – das Überkompensieren für den Höhenverlust der Kugeln stellt sich wieder einmal als meine Achillesferse heraus. Ich warte darauf, dass mein ungewollter deutscher Komplize wieder mit seinem Geplapper beginnt und betätige den Abzug.
Das Spiel zeigt einmal mehr, wie die Kugel mein Scharfschützengewehr verlässt – ein sicheres Zeichen dafür, dass ich mein Ziel getroffen habe. Dieses Mal zertrümmert das Projektil dem Wachmann den Kiffer, worauf Zähne, Knochensplitter und blut nur so herumspritzen und -fliegen. Sein entstellter Leichnam fällt über die Brüstung des Wachturms hinunter und landet an einer Stelle, die die patrouillierenden Soldaten nicht einsehen können. Ich lade nach und bereite mich auf den nächsten Schuss vor.
Ein grausiger, aber nicht seltener Anblick in Sniper Elite V2
Diese Zeitlupen-Kill-Shots sind das herausragendste Feature von Sniper Elite V2, eine verdiente Belohnung für das methodische und keine Fehler verzeihende Gameplay (letzteres wird durch die wenigen Checkpoints – zumindest in den Levels, die ich spielen durfte – noch verschärft). Obwohl ich in Sachen Videospielgewalt einiges gewöhnt bin, fühlte ich mich doch ein wenig schuldig, weil ich ein diebisches Vergnügen an den fetischistischen Details dieser filmischen Sequenzen hatte. Die Mischung aus Knochen und Organen, die die Röntgenkamera enthüllt, erinnert an die Modelle, die man im Anatomieunterricht studiert – nur mit viel mehr Blut. Augen zerplatzen. Organe werden zerfetzt und verspritzen Blut. Hoden explodieren. Eine meiner Kugeln durchschlägt die Hand eines feindlichen Scharfschützen, zersplittert dabei die Knochen und sorgt dafür, dass seine Finger durch die Gegend fliegen, während das Projektil in seinen Schädel eindringt und ihn tötet. Sniper Elite V2 wird vermutlich für reichlich Wirbel in den Medien sorgen, aber je mehr ich über die zur Schau gestellte Gewalt nachdachte, desto weniger Probleme hatte ich damit.
Sniper Elite V2 ist grauenvoll, aber die Gewalt ist nicht Selbstzweck. Herumlaufen und wildes Schießen werden bestraft; jede Kugel zählt und jede Begegnung mit dem Feind kann Ihrem Leben ein Ende setzen. Andere Spieler geben Ihnen Waffen in die Hand, die die Gegner in Blutgeysire verwandeln, aber de tödlichste Waffe in Sniper Elite V2 ist genau diejenige, die man aufgrund des Titels erwartet. Um Ihr Ziel verlässlich treffen zu können, müssen Sie die Distanz, den Wind, den Geschoßfall, das Atmen und selbst Ihren Herzschlag berücksichtigen und allenfalls entsprechende Korrekturen vornehmen. Warum sollte die Gewalt also weniger detailliert dargestellt werden? Die Tödlichkeit eines genauen Treffers ist ein Spektakel, das in der Realität fußt. Abgesehen von den Bildern der explodierenden Hoden natürlich – aber wer weiß schon, welche Auswirkungen eine Kugel aus einem Scharfschützengewehr auf diesen Teil der männlichen Anatomie hat?
Trotz des Realismus sollen einige Kills in erster Linie unterhalten
Ich kann mich letztlich mit der grafischen Darstellung von Gewalt in Sniper Elite V2 anfreunden, aber andere werden sich mit Sicherheit darüber aufregen, denn das Spiel wirft einmal mehr die Frage auf, ob Gewaltdarstellungen zu Unterhaltungszwecken in Ordnung sind (man kann sich schon denken, was die deutschen Behörden davon halten werden). Darauf gibt es keine einfache Antwort. Jeder Spieler wird das für sich selbst entscheiden müssen. Spielen Sie einfach die Demoversion, um herauszufinden, ob Sie mit dieser art der Gewaltdarstellung leben können.
Die kurzen Teile von Sniper Elite V2, die ich spielen durfte, sind nicht frei von Problemen. Die Feinde sind ziemlich ahnungslos, was die Schreie ihrer sterbenden Kameraden anbelangt, und gelegentlich weicht das Gameplay allzu sehr vom Scharfschießen ab und wird so um einiges weniger unterhaltsam (später im Verlauf der Mittelwerk Fabrik Mission beging das Spiel die Todsünde, während einer filmischen Sequenz einen Alarm auszulösen, wodurch all mein Schleichen bis zu diesem Moment für die Katz war). Hoffentlich werden diese Mängel bis zur Veröffentlichung des Spiels behoben.
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