Alles beginnt mit einer Biene.
Sie sind kein Elf, kein Troll und auch sonst keine mythische Kreatur. Sie sind ein menschlicher Mann oder eine menschliche Frau und leben in einem stilvollen, von IKEA inspirierten modernen Appartement. Eines Nachts, während Sie gerade schlafen, taucht eine Biene in Ihrer Wohnung auf. Es ist keine gewöhnliche Biene. Sie sticht Sie. Als Sie erwachen, sind Sie… anders. Verändert. Ihnen sind plötzlich Dinge bewusst, die Ihnen zuvor nie aufgefallen sind.
Einige Tage später klopft es an ihrer Tür. Ein mysteriöser Mann oder eine geheimnisvolle Frau (rot, blau oder grün) ist auf Ihre Kräfte aufmerksam geworden. Man interessiert sich für Sie – das ist manchmal positiv, manchmal auch nicht. Jedenfalls hat sich Ihr Leben für immer verändert.
Willkommen in Ihrer Geheimgesellschaft. Willkommen bei The Secret World.
Mein junger, stummer Charakter wurde flugs nach London gebracht, wo er sich einer uralten Organisation anschließen sollte. Stolz und mutig demonstrierten die Templer sofort den Überfluss und die disziplinierte Hierarchie, die das Rückgrat Ihrer Gesellschaft bilden. Ich erhielt die Gelegenheit, in ihrem Trainingsraum mit den Waffen herumzuspielen und das Startset selbst zu wählen, das am besten zu meinem Spielstil passt. Und dann begann das wilde Abenteuer.
The Secret World unterscheidet sich von den anderen MMOs, die ich bisher gespielt habe, durch die Modernität seiner Welt. Die Spieler melden den Kontaktpersonen die Resultate ihrer Missionen via Smartphone. Wenn etwas nicht bekannt ist, sagen NPCs den Spielern, sie sollen es googeln. Und die sichtbare Bekleidung besteht aus so exotischen Kleidungsstücken wie Jeans, Hoodies, Businessanzügen und Trainingshosen. Anno 2012 in einer Spielwelt zu berücksichtigen, dass wir tatsächlich das 21. Jahrhundert schreiben, sollte nicht wie eine Offenbarung wirken, tut es aber.
Die Ansiedlung des Spiels in der „realen Welt“ rückt es in das Reich der „niederen“ oder „urbanen“ Fantasy. Dies ist keine von Tolkien abgeleitete Welt. Es ist die reale Welt menschlicher Mythen und menschlicher Monster, auch wenn das Ganze immer wieder ins Fantastische abgleitet. Das soll aber nicht bedeuten, dass sich The Secret World nicht die eine oder andere Inspiration aus der Literatur holt. Zum Beispiel: Ich wünschte mir nun schon seit einem Jahrzehnt ein auf Neil Gaimans Roman Neverwhere basíerendes MMORPG. Während ich durch einen unterirdischen Winkel von London, den die Zeit vergessen zu haben schien, wanderte, dachte ich mir, dass dieses Spiel schon ziemlich nah an diese Wunschvorstellung herankommt.
Einen Augenblick später stieß ich mit einem NPC zusammen, der sich über das Viertel beschwerte: „These days, London Below is practically indistinguishable from London Above." Der Gaiman-Einfluss war eindeutig gewollt. Und als ich dann mein bescheidenes Training und den ebenso bescheidenen Anfang in London hinter mir ließ, stolperte ich von einer Gaiman-Story in eine moderne Version von H. P. Lovecraft.
Alle Spieler kommen von ihren Ursprungsstädten in die fiktive Stadt Kingsmouth in Neuengland. (Es handelt sich ziemlich eindeutig um eine Stadt in Maine, aber sie währe in Rhode Island auch nicht fehl am Platz.) Kingsmouth hat mit einem ernsthaften Problem zu kämpfen: der Nebel kam und nun bleiben die Toten nicht lange tot. Außerdem sind gruselige, schreckliche Monster im Wasser. Und auch überall sonst. Es gibt nur noch einige wenige verbarrikadierte Bastionen, in denen sich die Überlebenden zusammengeschart haben.
Was ist nur in Kingsmouth passiert? Und wie hängt das mit dem Umstand zusammen, dass die Welt auf einmal so seltsam ist und Sie und alle anderen plötzlich über ungewohnte Kräfte verfügen? Das sollen Sie herausfinden.
Die Grundlagen des Kampfes erlernen Sie in Ihrer Anfangsstadt, aber in Kingsmouth lernen Sie zu kämpfen und, was noch wichtiger ist, wie man auflevelt. Während Sie damit beginnen, die Welt zu erforschen, erwerben Sie in rascher Folge Skill und Ability Punkte.
Die Skill Points entsprechen noch am ehesten dem traditionellen vertikalen Leveling. Skill Points bescheren, wenn zugewiesen, passive Verbesserungen und Fähigkeiten, die die Stärke des Spielers auf gewissen Gebieten erhöhen. Die Talismane (ganz unten zu finden) sind Gegenstände, die die statistischen Werte verändern. Je mehr Punkte in jeden Bereich investiert werden, desto bessere Ausrüstung kann der Spieler verwenden. Andere Zeilen können die Kampffähigkeiten des Spielers verbessern. Indem ich Fists/Healing (Fäuste/Heilung) Punkte zuwies, konnte ich meinen kleinen Schadenverursacher sehr widerstandsfähig machen. Das gefällt mir.
Das Ability Wheel (Fähigkeitenrad) bietet das, was man weithin Skill Progression nennt. Die Spieler können Fähigkeiten nach Lust und Laune kombinieren und jederzeit austauschen. Diese Freiheit ermöglicht ausführliches Experimentieren, kann aber zunächst überwältigend wirken. Das Spiel bietet vorgefertigte „Decks“, Empfehlungen einander ergänzender Sets, die einander verstärken und einen ausgewogenen und mächtigen Charakter ergeben. Ich ließ mich von einem dieser Decks inspirieren, obwohl ich es nicht genau umsetzte: ich habe Faust-Nahkampfwaffen mit Chaosmagie gepaart. Die Effekte sind phänomenal.
Die Kämpfe sind aber nicht das Interessanteste an The Secret World. Die besten Missionen bisher sind sogenannte Investigation Quests (Erkundungsmissionen). Bei diesen Missionen gilt es, Puzzles zu lösen. Dafür muss man nicht nur unkonventionell denken, sondern auch über das Spiel hinaus. Die meisten sind so gestaltet, dass man sie allein lösen kann, doch die Zusammenarbeit mit anderen Spielern macht das Ganze leichter und angenehmer. Es gibt nichts Schöneres als ein Rätsel im Teamwork zu lösen, indem zum Beispiel ein Spieler erkennt, dass die Antwort in der Bibel zu finden ist, während ein anderer Buch, Kapitel und Vers findet. Gemeinsam an Lösungen zu arbeiten, ob im Group Chat, Voice Chat oder im selben Raum, macht den Multiplayer-Aspekt von „MMO“ zu einem befriedigenden und unterhaltsamen Erlebnis.
Einmal stellte ich zu meiner Überraschung fest, dass ich eine halbe Stunde nur damit zubrachte, mit der Wahrsagerin zu sprechen. Ich wollte noch nicht einmal die von ihr angebotene Aufgabe übernehmen, sondern einfach nur die ganze Konversation miterleben.
Das ist mir in einem MMO noch nie passiert. Madame Rôget ist ein so interessanter Charakter, dass ich nur mit ihr plaudern wollte. In Rollenspielen bin ich so facettenreichen NPCs schon begegnet, aber in MMOs bisher nicht.
Und das ist der Grund, warum ich mich gleich wieder in The Secret World stürzen möchte: Ragnar Tørnquist und sein Team bei Funcom haben wirklich abwechslungsreiche Charaktere und Konversationen ersonnen.
So gut das Spiel geschrieben ist, so sehr wird es zurzeit leider auch noch von Bugs und Glitches geplagt: derzeit ist es mir zum Beispiel nicht möglich, eine bestimmte Mission abzuschließen. Wenn Sie also noch schwanken, ob Sie The Secret World spielen sollen, empfehle ich, noch ein paar Wochen zu warten, denn dann dürften die schlimmsten Bugs beseitigt sein.
Der nächste Spielbericht folgt in der kommenden Woche.
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