Nicht genug Chaos
The Order: 1886 beginnt auf düstere und wirklichkeitsnahe Weise – eine First-Person-Sequenz mit Beinahe-Ertrinken während einer Wasserfolter. Es beginnt mit einem Knall und wirft den Spieler mitten hinein in diese unbekannte, beängstigende Welt, in der Halbbrut/Mischlings-Kreaturen (half-breeds) neben Menschen leben.
Die Sequenz ist filmisch und packend und zieht einen in die Welt hinein, die von Ready at Dawn und Sony gemeinsam geschaffen wurde. Aber von da an gehen die Entwickler auf Nummer sicher und denken gar nicht daran, irgendwelche Grenzen auszuloten (nicht einmal grafisch), denn der filmische Aspekt ist in fast jeder Facette des Spielerlebnisses vorherrschend und behindert oft das Gameplay.
The Order besticht mit seinem Stil und zieht den Spieler sofort in seinen Bann. Die Geschichte, die in einem alternativen 19. Jahrhundert angesiedelt ist, handelt von einem langen Kampf eines uralten Ordens (Order) gegen stärkere Halbbrut-Menschen (half-breed humans) und lässt erahnen, dass man viel Zeit und Mühe in das Konzept investierte. Die Autoren ließen es sich nicht nehmen, bekannte Geschichten wie die Artus-Sage in die Vorgeschichte einzuflechten, und es gibt einige coole Anspielungen, etwa die Fehde zwischen Tesla und Edison. Doch trotz dieses Rückgriffs auf so manches bekannte Thema wirkt The Order wie eine eigenständige Kreation und nicht bloß wie die Summe existierender Ideen.
Es verfügt auch über den visuellen Stil und die grafische Qualität, dies im Spiel interessant und fesselnd zu präsentieren. Die Lichteffekte und die Schauplätze sind beeindruckend reich an Details und die hervorragend gestalteten Charaktermodelle lassen dieses Spiel wie einen echten Current-Generation-Titel erscheinen. Wenn Sie im Spiel Zeitungen aufheben und lesen, wird nicht einfach nur Text auf dem Bildschirm präsentiert – Sie lesen wirklich die Zeitung.
Gegenstände in der Welt können oft begutachtet werden, indem man sie dreht und wendet, so dass die Details noch offensichtlicher werden. Diese Mechanik wirkt organisch, etwa so wie das Nutzerinterface in Dead Space. Alles wird in scharfen Bildern präsentiert und ist wirklich gut gemacht – und als ich die Stadt zum ersten Mal von oben sah, war es ein atemberaubender Moment.
Als Third-Person-Shooter kann The Order durchaus mit Gears of War verglichen werden, denn das Spiel bietet ein simples Deckungssystem (snap cover system), Übe-die-Schulter-Zielen, eine in Kapitel unterteilte Story und eine einfache Nahkampf-Attacke, die eingesetzt werden kann, wenn man Feinden nahe genug ist. 1886 setzt letztere mit mehr Flair um als die meisten anderen Titel, denn es gibt coole kontextabhängige Attacken wie das Schlagen eines Kopfes gegen eine Wand oder den Wurf eines Gegners über einen Tisch.
Sie können Granaten einsetzen und es gibt ein Zwei-Waffen-Setup (Seitenwaffe und Hauptwaffe), wobei vor allem Waffen Verwendung finden, die wir alle nur zu gut kennen, etwa Scharfschützengewehr, Schrotflinte und verschiedene Gewehre. Daneben tauchen auch einige fiktive Waffen auf, zum Beispiel die Tesla Raygun (Strahlenkanone) und eine Waffe, die mit Alt Fire (alternatives Feuer) ein gasartiges Material in de Himmel schießt, dass Sie dann mit Ihrem Primärschuss entzünden können. Aber das ist es eigentlich auch schon. Wenn man von einigen netten Einfällen absieht, ist es ein typischer Shooter. Gut gemacht, aber bloße Standardware.
Es gibt auch mehr als genug Quick-Timer-Momente, die mich persönlich nicht allzu sehr stören - baut sie ruhig ein, liebe Entwickler, solange es daneben genügend fesselndes Gameplay gibt. The Order hört nicht deshalb auf, großartig zu sein, weil man so viel Zeit mit QTEs zubringt, sondern weil es sich allzu stark auf schwelgerische Kameraperspektiven und darauf konzentriert, zu einer Spaziergang-Simulation zu werden.
1886 wartet mit einigen Extra-Pfaden auf, die vom Spieler erkundet werden können, und es gibt Collectibles, damit auch leidenschaftliche Sammler etwas zu tun haben, aber es ist verdammt linear. Die vielen filmischen Szenen, die man nicht überspringen kann, werden nach und nach zum Ärgernis und selbst wenn man spielt, hat man immer wieder das Gefühl sich in einer interaktiven Filmsequenz zu befinden – man kann nur ein wenig nach vor gehen und sonst nichts tun. Vielleicht meinten die Leute von Ready at Dawn, dies wäre atmosphärisch, vielleicht wurde auch die Zeit zu knapp, aber was auch der Grund für diese Szenen sein mag, sie wirken wie Füllmaterial. Und das gilt auch für die für Videospiele typischen Schlossknack- und Schleich-Sequenzen.
Die Story hat aufgrund dieser Füller nicht wirklich Raum, sich zu entfalten, da man so viel Zeit damit zubringt, von A nach B zu gelangen. Die Prämisse ist zwar interessant, aber der Handlungsverlauf ist reichlich vorhersehbar und die Charaktere haben kaum Gelegenheit, beim Spieler Eindruck zu hinterlassen: Sie werden vermutlich die meisten von ihnen vergessen haben, ehe der Abspann zu laufen beginnt. Und unmittelbar vor dem Abspann wird man noch mit einem riesigen Ärgernis konfrontiert: der letzte Boss ist, wie übrigens auch in Shadows of Mordor, ein QTE – und ein aufgewärmter Kampf noch dazu.
Und wie Sie wahrscheinlich schon gehört haben,ist The Order außerdem kurz. Wie kurz? Nun, auf Schwierigkeitsgrad „normal“ oder „schwer“ (hard) sollte ein durchschnittlicher Spieler das Spiel in ungefähr sieben Stunden komplett durchspielen können – etwas schneller, wenn man sich beeilt und keine Nebengänge erkundet, etwas länger, wenn man jeden Quadratzentimeter absucht.Spieldauer kümmert mich normalerweise wenig, aber Sie sollten nicht außer Acht lassen, dass in diesem Fall der Wiederspielwert sehr gering ist und es keinen Multiplayer – nicht einmal kooperatives Spiel – gibt.
Wenn man von der schicken Präsentation und der durchaus interessanten Welt einmal absieht, hat The Order: 1886 nichts Besonderes zu bieten. Das ist schade, den ich hätte gerne taktischeres Gameplay im Stil von Valkyria Chronicles gesehen oder allgemein ein Spiel mit größerer Spieltiefe in derselben Engine und mit derselben Story. Ich hoffe ehrlich, dass dies nicht das letzte Mal ist, dass wir dieses Universum zu sehen bekommen, aber vorerst lohnt es sich nur, es einmal, und zwar kurz, zu besuchen.
PRO: Das wahrscheinlich bestaussehende Konsolenspiel, das bisher gemacht wurde.
CONTRA: Das Schießen ist bestenfalls durchschnittlich; nützt jede Gelegenheit, dem Spieler die Kontrolle zu entreißen; Handlung und Charaktere sind wenig bemerkenswert; es bleibt kaum etwas in Erinnerung.
Abschließende Bewertung
Spiel: 6,0
Spaßfaktor: 4,5
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