wir hätten davon ausgehen sollen, ja müssen, dass es passieren wird. Als alle verbliebenen Mitarbeiter von Valve an diesem schicksalhaften Tag im November 2022 nicht mehr ans Telefon gingen, hätten wir wissen sollen, dass etwas nicht in Ordnung war. Anzeichen hatte es schon seit Monaten gegeben. Gabe Newell hatte sich sechs Monate zuvor völlig aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Der immer geringer werdenden Zahl seiner Vertrauten und Berater zufolge, war er bei bester Gesundheit und guter Dinge. In Wahrheit war er einer der ersten, die das sinkende Schiff verließen oder einfach verschwanden. Als die Welt endlich davon erfuhr, wie viele Leute beim Videospiel-Giganten nicht mehr anzutreffen waren und vermisst wurden, war es schon viel zu spät. Steam war von allen Desktops verschwunden.
Wie alle können uns noch an die ersten paar Stunden erinnern, als wir uns irritiert und verärgert auf Twitter und Facebook Luft machten, unsere Beschwerden in die digitale Leere jagten und Todesdrohungen an Leute schickten, die nie antworten würden. Als ein Trottel tweetete: “Hey, @steam_games, I am going to throw your dog off a cliff! Fix your servers!”, erhielt er als Antwort nur eine Fehlermeldung. “This user”, besagte sie, “does not exist.”
Die Mitarbeiter von Valve waren nirgends zu finden. Ein besorgter Hausmann, dessen Ehefrau als „senior concept artist“ für den Entwickler arbeitete, fuhr zum Hauptquartier des Unternehmens in Bellevue, Washington und musste zu seinem Entsetzen feststellen, dass das Gebäude ebenfalls verschwunden war. Er stieg in sein Auto und fuhr heim, wobei er irgendetwas von Downloadzeiten murmelte. “tell them 2 fix steam”, simste er seiner Frau. “I want 2 play bejewelled ffs”. Er stürzte mit seinem Wagen in eine Schlucht, weil er während der Fahrt Kurzmitteilungen an seine Frau schickte. Er war das erste Todesopfer des Untergangs.
Für den Rest von uns kam das Ende langsam. Ärger verwandelte sich in Wut, Wut wurde zu Trauer, Trauer verwandelte sich in Verwirrung, Verwirrung wurde zu Schock und dann wieder zu Verwirrung, dann wurde Verwirrung von Verleugnung mit dem Lastwagen überfahren, Verleugnung ging nach Hause und machte sich ein Sandwich und das Sandwich war mit Tomaten, Salat und Hysterie belegt, Hysterie legte sich schlafen und wachte als Ambivalenz auf – es war der Anfang vom Ende des PC-Gaming. Aber, ja, auch der gesamten Welt.
Heute wissen wir es besser. Da nun die Elektrizität wieder fließt, werden alle Videospiele auf stahlummantelten USB-Sticks gespeichert, die von Kindern mit winzigen Händen in einer Fabrik irgendwo in der Rauch-Zone hergestellt werden. Nie wieder (so Gott will) sollen Horden schlafloser Studenten verstört in der Gegend herumstreifen und nach GOG Codern und Uplay Managern suchen, die sie foltern und essen können. Der Mythos, dass der Verzehr des Herzens eines Mitarbeiters des digitalen Vertriebs den eigenen Steam Account zurückbringen kann, wurde gründlich widerlegt.
Aber andere Bedrohungen bestehen fort. Die Half-Lifers schleichen noch immer argwöhnisch in den verlassenen Straßen von New York City, Rom, Seattle, London, Paris und, ja, Bellevue, Washington Bellevue herum – bewaffnet mit einigen der letzten Schusswaffen verbreiten sie ihre giftige Religion unter all den armen Seelen, die ihnen zuhören. “Half-Life 3 is confirmed!” schreit es aus den Megaphonen, “join us and receive salvation!” Wir Überlebenden, die es besser wissen, halten den Mund und wenden die Augen ab, während sie vorbeigehen, und verstecken uns, wenn wir können, in Cafés und Friseursalons. Alle haben jetzt langes Haar und alle sind am Morgen wütend, so ungefähr eine Stunde lang.
Eines Tages mag die Welt zum „Normalzustand“ zurückkehren, falls dann noch irgendjemand am Leben ist, der sich daran erinnert, wie sich das anfühlt. Doch bis auf weiteres müssen wir uns damit begnügen, die LCD-Spiele aus der Rauch-Zone zu spielen. Manche sprechen von einem Stamm in Schweden, der sich in seiner isolierten Verzweiflung Origin zuwandte, aber das sind nur Gerüchte, nicht wahr? Wir, die wir auf unsere verstaubten Laptops starren, deren Bildschirme während der Stromausfälle flackern, und unsere Augen starr auf die Stelle auf dem Desktop gerichtet haben, an der sich einst das Stem Icon befand – wir werden nicht zu solchen Monstern werden...
Oder doch?
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