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The Chainsmokers: Sick Boy (Albumkritik)

 

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The Chainsmokers: Sick Boy (Disruptor/Columbia)

 

 

Der vorletzte Song auf dem zweiten Album der Chainsmokers würde wohl zu jeder Zeit unangenehm auffallen, tut dies aber in einer Zeit, in der der US-Präsident Journalisten droht und wieder vermehrt Musiker sehr jung sterben, ganz besonders. In „You Owe Me“ zieht Drew Taggart über die kaltherzigen Medien her und meint: “They wanna see me hang on the wall.” Darauf folgt: “Check my pulse and if I’m dead, you owe me.” (Wenn man davon absieht, ist dies der beste Song des Albums; sein ungewöhnliches Bläserarrangement weckt Erinnerungen an Vampire Weekend.)

 

Wenn man Taggart so zu hört, meint man, er wäre ein Märtyrer, nicht eine Hälfte eines EDM-Duos, das mit einer ziemlich widerlichen Single und absurden Interviews, bei denen er und Alex Pall Penisse verglichen, bekannt wurde. Um fair zu sein, sie haben sich weiterentwickelt – oder, was eher zutrifft, sie haben erkannt, dass die Popmusik eine Wendung hin zu beschaulichem Nihilismus macht, und schnell ebenfalls diese Richtung eingeschlagen, da dort nun das große Geld zu verdienen ist; diese Anbiederung an den Zeitgeist hat dafür gesorgt, dass ihre launischen Songs, die vom Durchbrennen nach Paris oder von Sex in unerschwinglichen Autos handeln, wie verrückt gestreamt werden.

 

Sick Boy“ macht allerdings mehr als klar, dass es heutzutage in der Welt der Chainsmokers so etwas wie unerschwingliche Autos nicht gibt. Diese traurige Situation bringt viele Probleme mit sich. “All the things I could live without”, singt Gastsänger Drew Love auf „Somebody“, “I need ’em now ’cause they’re all around me.” Geradezu schmerzhafte Klavierakkorde hängen in der Luft; eine durchaus coole Synthesizer-Note hängt wie ein sündteurer Schal um ihre Hälse. Es wird schlimmer: “Everyone knows what I look like”, jammert Taggart auf „Everybody Hates Me“, “not even one of them knows me.” Deshalb geht er in den Club, als würde er von allen gehasst, und sein trübseliges Murmeln explodiert geradezu in EDM-Bombast und macht so die Kluft zwischen seinen Gefühlen und der Realität mit charakteristischer Subtilität deutlich.

 

Das Leben in sozialen Medien mache diese Gefühle, nachvollziehbar, behaupten sie. Mit einer scharfsinnigen Ausnahme (“I can’t even check the time without facing regret”) ist das nicht der Fall. Hier haben wir es mit sehr reichen Männern zu tun, die sich über die Probleme beklagen, die damit einhergehen, sehr reich zu sein. In einem Song („Side Effects“) „neggen“ [negatives Feedback geben] sie Frauen, in einem anderen („Hope“) führen Sie ich wie sensible Bros auf, weil sie wissen, was Negging ist.Sie spielen auf zweifelhafte Weise auf die “red pill” Kultur an. Inmitten dieses unaufrichtigen Mists trifft der glücklicherweise wortlose EDM-Bombast die ehrlichste Note. Sie haben alles, was sie sich nur wünschen können; möge Mitgefühl ihnen versagt bleiben.

 

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