Tutto le strade portano al circo. Diese italienische Phrase bedeutet „Alle Straßen führen zum Zirkus“. Während Sie Rain spielen, werden Sie sie entdecken, an eine Wand geschrieben, und zwar an einer Stelle, die Sie unmöglich übersehen können. Während der namenlose Protagonist daran vorbeiläuft, werden Sie sich unweigerlich denken: Was hat sie zu bedeuten? Die Platzierung dieser Botschaft deutet darauf hin, dass ihr Bedeutung zukommt – aber während Sie Ihren Weg durchs Spiel fortsetzen, werden Sie nur eine sehr vage Vorstellung von der Bedeutung der Phrase bekommen. Ihre Präsenz stellt sich als fantastisch treffende Metapher für Rain heraus, ein seltsam mysteriöses, charmantes und ästhetisch ansprechendes Indie-Abenteuerspiel, das Sie letztlich zumindest ein wenig frustrieren wird, weil sich seine wahre Bedeutung nicht so recht offenbaren will.
Sie schlüpfen in die Rolle eines jungen Burschen, der eines Morgens aus seinem Bett heraus- und in die regnerische ewige Nacht einer anderen Welt hineingezogen wird. Dort begegnet er kurz den beiden anderen Hauptcharakteren des Spiels: einem jungen Mädchen, das ebenfalls in dieser Welt feststeckt, und „The Unknown“ (dem Unbekannten), einer stimmlosen, schattenhaften Gestalt, deren einziges Ziel darin besteht, Sie und das Mädchen zu töten. Da Sie nicht nach Hause zurückkehren können, müssen Sie das Mädchen finden, um gemeinsam einen Weg aus der sich ständig verändernden Stadt, in der es immer regnet, zu entdecken.
Dies hört sich nach einem wunderbaren Setup für ein subtiles und ruhiges Spiel an, doch dieses Thema bringt unglückselige Probleme mit sich, die die Wirkung des Spiels verringern. Nehmen Sie zum Beispiel die sich verändernde visuelle Repräsentation der Heimatwelt des Protagonisten. Ehe er in die Traumwelt entführt wird, ist die Umgebung des Jungen prächtig und lebhaft und erfreut und sieht aus, als hätte man Wasserfarben auf eine Palette gespritzt. Sie werden dann in die feuchte und dunkle andere Welt transportiert. Während Sie sich dort befinden, erhaschen Sie immer wieder kurze Blicke auf die Welt, die Sie zurücklassen mussten. Aber wann immer Sie sie sehen, erscheint die alte Welt in einem anderen Farbton. Der Entwickler scheint damit irgend etwas Bedeutsames ausdrücken zu wollen, aber der Effekt ist nicht treffsicher, ja fast beliebig, weshalb die Bedeutung nie klar wird.
Und dann ist das das Konzept von The Unknown und der sich ständig verändernden Stadt. Es wirkt so, als sollte man darin eine tiefere Bedeutung erkennen, aber eine der größten Schwächen des Spiels ist, dass die Absichten des Machers nie deutlich werden. Rain erzählt eine ausgedehnte und vage Geschichte und nimmt dabei an, dass der Spieler die beabsichtigte Bedeutung selbst kreieren wird. Ja, Sie werden in der Lage sein, sich am Ende eine Bedeutung zusammenzureimen, aber sie werden keine Beweise für Ihre Theorie haben. Während des Finales fängt die Stadt an, sich zu verändern und zu verformen. Doch anstatt Sie damit in Richtung eines emotionalen Höhepunkts und einer Auflösung zu lenken, werden Sie frustriert sein, weil Sie künstlerisch nicht verstehen können, wo diese Metamorphose herkommt. Erst bei einem zweiten Durchspielen schalten Sie „Erinnerungen“ frei, kleine Kugeln, die Ihnen Blicke in die Welt ermöglichen, in die der Junge und das Mädchen gehören. Es ist den Spielern gegenüber ein wenig unfair, dass Sie das Spiel zuerst einmal komplett durchspielen müssen, ehe sie einen so wichtigen Teil der Handlung zu sehen bekommen.
Rain geht es eindeutig in erster Linie darum, eine Story zu erzählen, und wo es in narrativer Hinsicht versagt, hat es spielerisch große Momente. Da Sie ein unsichtbarer Junge sind, können Sie nur gesehen werden, wenn Sie sich im Regen bewegen, da die Tropfen an Ihnen hinabrinnen. Dies ist die Grundlage des Gameplay von Rain, denn um erfolgreich zu sein, müssen Sie sich unter Vordächern, Rohren und anderen Dingen verstecken, um nicht entdeckt zu werden. Das Beste ist jedoch, dass dieses Katz-und-Maus-Spiel Sie mehr über die Charaktere lehren wird als die eigentliche Story.
Die Laufanimationen der beiden Kinder geben perfekt das Bedürfnis wieder, stets so schnell wie möglich aus dem eiskalten Regen ins Trockene zu gelangen; während Sie sich bewegen, werden Sie sich schlecht fühlen, weil die Kleinen mit hochgezogenen Schultern und geballten, weißen Fäusten herumlaufen müssen. Doch aufgrund dieser Mechanik werden Sie nie einen „Aha“ Moment erleben, denn jedes Kapitel bringt eine andere Version davon mit sich. Sobald ein Kapitel abgeschlossen ist, kehrt sein Gameplay-Element kaum (oder gar nicht) wieder. Deshalb beschleicht einen das Gefühl, sich die meiste Zeit über in einem Tutorial zu befinden, und man erhält nie die Gelegenheit, mit den Katz/Maus-Fähigkeiten zu glänzen, die man geübt hat.
Rain ist mit interessanten Ideen und Themen vollgepackt: die visuelle Ästhetik, die Charaktere, die Metaphern, die Mechaniken. All diese Dinge sind für sich allein mehr als gelungen und hätten jeweils einen eigenen kleinen Titel verdient, aber letztlich überwältigt und verwässert ihre schiere Menge die zerbrechliche Natur der Story, die das Spiel erzählen möchte. Sie werden an Rain Ihr Vergnügen haben, wenn Ihnen Atmosphäre wichtiger ist als Handlung und Sie nichts dagegen haben, sich eine eigene Bedeutung zusammenzudichten, als am Ende die wahre Bedeutung des Ganzen zu entdecken. Denn schließlich führen, wie es heißt, alle Straßen zum Zirkus.
PRO: ein beruhigender und melodischer Soundtrack; einfaches, nicht überforderndes Gameplay; „europäische“ Ästhetik.
CONTRA: Kein einheitliches Design; das Spiel muss mehrmals durchgespielt werden, will man es wirklich verstehen; die Botschaft von Rain ist letztlich verwirrend.
Abschließende Bewertung
Spiel: 6,25
Spaßfaktor: 5,5
Das Spiel wurde auf der PS3 getestet.
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