Das Problem mit einem Nazi-Superman

 

1941 schlug Captain America Hitler auf dem Cover eines Comicbuchs. In der vergangenen Woche arbeitete Superman in einem Comicbuch für den Führer. Kann das gut ausgehen?

Spoiler für The Multiversity: Mastermen #1 folgen

The Multiversity: Mastermen #1 wurde von Grant Morrison geschrieben und von Jim Lee gezeichnet und ist das aktuellste Kapitel eines mehrere Universen umfassenden Crossover, das mehrere DC-Comics-Realitäten miteinander verbindet. Diese Ausgabe beginnt mit Adolf Hitler, der sich mit einem Comicbuch auf der Toilette befindet. Als er gerade dabei ist, einen braunen Haufen zu machen, wird er unterbrochen und erfährt, dass Nazi-Wissenschafter ein unzerstörbares Baby samt Rakete entdeckt haben. Dies ist der Übermensch, auf den Hitler gewartet hat – der Schlüssel zur Weltherrschaft.

Mastermen spielt mit der Idee, dass Superman eine fast religiöse Figur ist, und möchte diese untergraben. Er wurde in den 1930-ern von Jerry Siegel und Joe Shuster nicht bewusst Moses oder Jesus nachempfunden, doch seine Herkunftsgeschichte erinnert stark an von Gott auserwählte Männer im Laufe der Geschichte. Er kommt vom Himmel, wird von einfachen Menschen aufgezogen und kämpft mit seinen beachtlichen Talenten gegen das Unrecht. Allerdings hängt dieses altruistische Verhalten davon ab, wo die Rakete mit dem Baby Kal-El landet. In The Multiversity: Mastermen #1 landet sie in Deutschland zur Zeit des Zweiten Weltkriegs.

Die Handlung der Ausgabe spielt vor allem in einer alternativen Gegenwart, 60 Jahre nachdem die Nazis die Herrschaft über die Welt übernommen haben. Der Kryptonier wurde erwachsen und ist nun eine kostümierte Figur namens Overman (Übermann). Er führt eine skrupellose Version der Justice League an, die hier New Reichsmen heißt, komplett mit einer sadistischen Gegenfigur zu Batman namens Leatherwing und einer blonden Mischung aus Amazone und Walküre namens Brunnhilde. Die New Reichsmen kämpfen gegen eine mit Superkräften ausgestattete Widerstandsbewegung, die von Uncle Sam (er ist seit Jahrzehnten ein DC Superheld, und zwar in der Form des Geistes von Amerika) angeführt wird und Deutschlands Herrschaft in Frage stellt.

Superman steht für Kraft und Macht, ja, aber er ist auch ein Symbol für Mitgefühl. Wichtiger Bestandteil des Superman-Mythos ist, dass er sich dafür entscheidet, sich als Teil der Menschheit zu empfinden und für sie zu kämpfen, anstatt gottgleich über ihr zu schweben. Das Interessanteste an Grant Morrisons Version eines Nazi-Superman ist dass dieser Aspekt seines Charakters durchscheint, obwohl er jahrzehntelang vom Dritten Reich indoktriniert wurde.

Overman wird von Schuldgefühlen geplagt. Es wird zwar angedeutet, dass die schlimmsten Grausamkeiten in den Konzentrationslagern verübt wurden, während er nicht auf der Erde war, doch die grausame Weltordnung in dieser Wirklichkeit wäre ohne seine Hilfe nicht möglich gewesen. Wenn Superman apolitisch für die höchsten Ideale der Menschheit stand, dann steht Overman für die politische Zweckmäßigkeit nach dem Motto „ Macht hat Recht“ und das Unter-den-Teppich-Kehren von schmerzlichen und unangenehmen Wahrheiten, solange die „richtigen“ Leute an der Macht sind.

"These enemies rise from the shame of our past", erklärt Overman den New Reichsmen, während sie über den ersten Angriff von Uncle Sam und seinen Rebellen diskutieren. Leatherwing zitiert die hartherzige Logik, die im Nachkriegsdeutschland oft zu hören war: "I'm not ashamed of anything. That happened decades ago, before I was born. My family had good reasons for everything it did." Nachdem sie einen der von Uncle Sams Freedom Fighter Verbünden schnappten, foltern die Reichsmen ihn, um Informationen zu erhalten. Das passt Overman gar nicht, der nicht völlig überzeugt ist, auf der richtigen Seite zu stehen. "That mountain of dead...", grübelt er. "What if we deserve this?" Während des vorletzten Gesprächs zwischen Uncle Sam und Overman bekräftigt der Geist von Amerika, dass seine Seite gewinnen wird, weil er und seine Leute etwas haben, woran sie glauben. Overman wird vermutlich wie sein Gegenspieler in der Haupthandlung nie müde, aber es scheint, als wäre Schuld das Kryptonit, das Overman schwächt.

Einer der Gründe, warum Comicbücher so stark in die amerikanische Kultur eingeflochten sind, ist, dass sie in einer Zeit geboren wurden, in der das Land in einer ökonomischen Krise steckte und sich auf einen weltweiten Konflikt vorbereitete. Wir haben gesehen, wie Superman, Batman und Wonder Woman zu stärkeren Kriegsanstrengungen animieren, den Ku Klux Klan diskreditieren und sich für Frauenrechte stark machen. Die symbolische Macht von Superhelden-Charakteren ist Teil ihres Reizes. Wir können uns sagen, dass all die Schlägereien und Explosionen dazu dienen, dem Guten zum Sieg zu verhelfen; sie dienen als Unterstützung von Botschaften, die uns davon überzeugen sollen, dass wir uns anstrengen sollten, dafür zu sorgen, dass es möglichst vielen gut geht, nicht nur einigen wenigen. Sie sollen den Ideologien entgegentreten, die das Gegenteil der amerikanischen Ideale sind, und dafür sorgen, dass die Leser nicht vor diesen Ideologien kapitulieren. In diesem Comic wirft Morrison die Frage auf, was passieren würde, wenn der größte Superheld von Nazis großgezogen würde, also von Anhängern einer dieser feindlichen Ideologien. Könnten sich Wahrheit und Gerechtigkeit trotzdem durchsetzen? Spoiler: Nein.

Mastermen ist nicht so vergnüglich wie Red Son, eine Story aus dem Jahre 2003, in der Superman ein stalinistischer Superstarker war. Diese Interpretation war witzig, weil Charaktere neu erfunden wurden und es ein eigenartiges Zeitschleifen-Ende gab. Mastermen ist viel düsterer. Das Reich, das Overman beherrscht, ruht auf einem toxischen Fundament. Das tragische Ende dieses einmaligen Versuchs deutet an, dass er die Welt nicht retten kann, wenn er nicht das Beste der Menschheit repräsentieren kann.