Die Beleidigung“walking simulator“, die Videospielen entgegengeschleudert wird, deren stärkste Elemente Erkundung, Entdeckung und Story sind, verfehlt ihr anvisiertes Ziel. Sie beschwört eher Gedanken an Bennett Foddys QWOP herauf. Andererseits wissen wir alle, was mit dieser Bezeichnung mittlerweile gemeint ist: etwas in der Art von Gone Home , das die Elemente Rätsel und physische Herausforderung aus einem interaktiven Raum entfernt.
Lassen Sie mich also gleich vorneweg offen und ehrlich sein: Everybody’s Gone to the Rapture ist ganz entschieden ein Walking Simulator, auch wenn ich mir nicht ganz sicher bin, ob ich während meiner sechs Stunden mit dem Spiel überhaupt ging. Und es ist ist ein sehr guter.
Die Verben im Spiel sind begrenzt. Sie können sich bewegen, indem Sie den linken Stick Ihres PlayStation Controller verwenden. Mit dem rechten Stick können Sie sich umsehen. Sie können nicht versperrte Türen und Tore aufstoßen, indem Sie auf einen Button drücken. Mit demselben Button können Sie das Abspielen aufgenommener Botschaften – auf Telefonen, Radios und Kassettendecks – starten. Und Sie können Lichtkugeln in der Luft herumbewegen (bis sie zu einer Konversation unter den verschwundenen Bewohnern der ländlichen englischen Gegend explodieren, die Sie erkunden), indem Sie den Controller neigen (tilt).
Das ist schon alles. Doch mit diesem beschränkten Vokabular haben die Leute von The Chinese Room — sie bescherten uns den typischen „walking simulator“, das 2012 erschienene Dear Esther — ein Spiel kreiert, das wirklich entzückend ist. Es ist Beweis für die Qualität des Spiels, aber auch eine Anklage seiner Mängel, dass ich Everybody’s Gone to the Rapture sofort mit Freuden wieder spielen würde, auch wenn ich nicht verstehe, wer ich im Spiel war und warum ich durch seine majestätische Landschaft schlenderte – oder schwebte ich? -, während ich eindringliche Musik hörte, die an Kirchenmusik erinnert, und auch nicht genau weiß, was in Englands Yaughton Valley dazu führte, dass in den 1980-ern alle verschwanden.
Die erste Stimme, die Sie im Spiel hören, ist diejenige von Dr. Katherine Collins. “It’s all over”, sagt sie Ihnen. “I’m the only one left.” Kurz darauf hören Sie aus einem Radio, wie sie eine Reihe von Zahlen aufsagt. (Haben diese Zahlen irgendeine Bedeutung? Ich kann es nicht sagen! Vielleicht werden Kryptographen oder Fans von Lost dieses Geheimnis lüften, oder vielleicht habe ich auch nur eine erklärende Szene im Rahmen der nichtlinearen Erzählung des Spiels verpasst.) Wenn die scheinbar körperlose Präsenz des Spielercharakters den Knopf am Radio drückt, sagt Kate Ihnen, dass Sie “markers” des “event” finden müssen, um das Geheimnisvolle zu enthüllen, das hier passierte. “You can use them to find what you’re looking for”, sagt sie. “The answers, they’re all here. The answers are in the light.”
Ich bin mir nicht sicher, dass alle Antworten im Licht zu finden sind, aber einige sind es, und wie es bei guten Mysterien so oft der Fall ist, ziehen viele dieser Antworten neue Fragen nach sich. Was mit Katherine Collins passierte, ist der roten Faden von Everybody’s Gone to the Rapture, doch unterwegs erinnert der Plot an den einer Ensemble-TV-Serie, denn Sie verfolgen auch die Geschichten eines Dorfpriesters, eines pensionierten Wichtigtuers, eines Farmers, des Betreibers eines Lagers/Campingplatzes und eines Astrophysikers. Diese Vignetten helfen dabei, den Hauptplot zu enthüllen, aber sie beinhalten auch ihre eigenen Dramen, die mit diesem nichts zu tun haben. Das Skript ist mitunter zu schleierhaft oder zu offensichtlich, aber ich begann, mich für die Charaktere zu interessieren, und ihre Schicksale rührten mich.
Schauen uns Fortbewegung sind die beiden wichtigsten Aktionen des Spielers im Spiel, doch als lohnendste Aktivität entpuppt sich das Zuhören. Der Soundtrack besteht großteils aus Chorgesang und verleiht der Reise durch Shropshire, England, eine ehrfürchtige, mystische (und gelegentlich Begräbnis-) Note. Die Story selbst wird fast ausschließlich durch Audioaufnahmen und durch das interessanteste Element des Spiels: die Gespräche zwischen den verschollenen Bewohnern, die als schimmernde Lichtwesen erscheinen, die ungefähr eine Minute lang sprechen und dann verschwinden. In den besten Momenten verschmelzen diese Szenen mit dem Verlangen des Spielers, die Umgebung zu erkunden, und schubsen ihn in einem Haus die Treppe hoch oder zu einer Kirche oder einer Windmühle am Horizont hin. In anderen Momenten hingegen kann man nichts anderes tun, als sitzen, warten und zuhören. (Möglicherweise zu oft, aber zum Glück lohnt sich das Zuhören.)
Die ländliche Gegend im Spiel ist groß und offen und die Story entfaltet sich in dem Tempo und der Richtung, die der Spieler wählt. Zu beginn fürchtete ich, dass ich mich verirren würde, und ich war momentan überfordert, als ich vor einer Weggabelung stand, die mir drei Richtungen eröffnete. Zum Glück schwebt ein kometenartiges Licht durchs Spiel. Sie können es ignorieren, aber ich war froh, diese Art Führer zu haben. Es fungiert als eine Art Dozent im Spiel und führt Sie zu noch nicht entdeckten Elementen oder zurück zu Geschichten, die Sie verpasst haben.
Mit der Zeit wird die visuelle Sprache des Spiels immer leichter interpretierbar. Geschlossene Türen sind fast immer versperrt, während es sich fast immer lohnt, bloß angelehnte zu öffnen. Von der Hauptroute aus einen Seitenpfad zu wählen, führt typischerweise zu einer neuen Entdeckung, während dieser Seitenpfad Sie zugleich zu Ihrem Startpunkt zurückführt, so dass Sie nicht denselben Weg zurückgehen müssen.
Die hübsche Szenerie kontrastiert mit der Traurigkeit der zurückgelassenen Fahrräder, Gepäckstücke und Spielsachen, blutiger Taschentücher neben einem Keyboard oder einer Armstütze im Gras. Periodisch auftauchende Karten des Tals mit “You are here” (Sie sind hier) Markierungen, die ein nützlicher fiktiver Ersatz für ein prozentuales Messen des Fortschritts im Spiel.
Das Spiel weckt im Spieler das Gefühl, wirklich durch ein idyllisches englisches Tal zu wandern, aber es ist weniger gut darin, die Periode der frühen 1980-er einzufangen. Gelegentlich ist ein Kassettendeck zu sehen oder ein CRT-Monitor, einmal sogar ein Rubik-Würfel, doch Everybody’s Gone to the Rapture bietet nichts von den dichten popkulturellen Anspielungen, die Gone Home so kraftvoll in einer spezifischen Ära verwurzelten.
Dies ist ein feines Spiel, mit Sicherheit eines der besten, die ich heuer gespielt habe. Dennoch konnte ich mit dem Philosophieren am Ende nichts anfangen, aber vielleicht ist das so gewollt. Irgendjemand wird vermutlich das Geheimnis lüften und die Antworten mit der Allgemeinheit teilen – und dann wird mir das Spiel vermutlich weniger gefallen. Ich befürchte, dass Everybody’s Gone to the Rapture eine Kreatur ist, die getötet wird, wenn ich sie öffne, um ihre Eingeweide zu untersuchen. Dies ist ein Spiel über eine leere Welt, die einst voll war, über die Spuren, die wir hinterlassen, über unsere Versuche, Verbindung zu anderen herzustellen, über unsere angestrengten Bemühungen, die Bedeutung und die Natur unseres Platzes im Universum zu verstehen.
Es ist unmöglich, den religiösen Unterton von “rapture” (Entrückung) im Titel zu übersehen, aber ich vermute, dass das Spiel eine wörtlichere Bedeutung vermitteln möchte: „intensives Vergnügen oder intensive Freude“. Aber Everybody’s Gone to the Rapture erfreute mich mit gregorianischen Chorälen und dem Anblick von Sonnenlicht, das durch gefärbtes Glas fällt, und der Extase des Geheimnisses.
PRO: Das bedächtige Tempo, das mit der stets steigenden Spannung kontrastiert; Yaughton ist wunderschön und mit wunderbar gestalteten, berührenden Details gefüllt; die Musik und die Sprecherleistungen stellen die meisten anderen Spiele in den Schatten.
CONTRA: Die Sixaxis-Steuerung reißt einen etwas aus dem Erlebnis.
Abschließende Bewertung
Spiel: 9,5
Spaßfaktor: 9,0
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