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Fallout 4: Gutes Spiel, schlechtes Rollenspiel

 

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Ich liebe Fallout 4. Es ist wunderbar, durch das verwüstete Land zu wandern, verlassene Gebäude zu durchsuchen, munterem 50-er-Jahre-Pop zu lauschen, gegen Mutanten zu kämpfen. Es ist ein großartiges Spiel, um sich an kalten Winterabenden darin zu verlieren. Aber als Rollenspiel-Erfahrung finden sich es enttäuschend schwach – und zwar so schwach, dass ich es gar nicht als Rollenspiel bezeichnen möchte. Ein Open-World-Actionspiel mit Rollenspielelementen wäre eine viel treffendere Beschreibung.

Dasselbe könnte man von den anderen Bethesda Spielen sagen, die oft wie folgt beschrieben werden: Weit wie ein Ozean, tief wie ein Pfütze. Doch Fallout 4 ist das bisher restriktivste Spiel aus dem Hause Bethesda, was Customization, Wahlmöglichkeiten und Dialoge anbelangt. Der Protagonist wirkt nicht wie mein Charakter. Was ich sage, scheint keine Rolle zu spielen. Mein hoher Charisma-Wert dient dazu, Quest-Gebern einige Caps (Flaschenverschlüsse) mehr abzuluchsen, hat aber sonst keine Auswirkungen.

Der Begriff ‘RPG’ (Rollenspiel) ist nicht genau definiert. Wir könnten tagelang darüber streiten, was ein Rollenspiel ist und was nicht. Doch für mich gehört zu einem guten Rollenspiel auf jeden Fall dazu, dass man einen Charakter kreieren und weiter formen/verbessern kann, der einzigartig ist und nur dem jeweiligen Spieler gehört. Mein Fallout 4 Vault Dweller (Schutzraum-Bewohner) ist jedoch ungefähr derselbe wie derjenige eines jeden anderen Spielers – er trägt nur eine andere Kopfbedeckung. Es ist eine wirklich schöne Kopfbedeckung. Eine Ushanka, die ich in einem Abfalleimer fand. Aber das ist zu wenig. Ich habe nicht das Gefühl, dass dieser Charakter mir gehört.

Die Beschränkungen durch das neue Dialograd (dialogue wheel) und der erstmals von einem Synchronsprecher mit eigener Stimme ausgestattete Protagonist haben jede Möglichkeit begraben, dem Charakter eine ausgeprägte Persönlichkeit zu verleihen. Er ist entweder ein guter Kerl oder ein sarkastischer guter Kerl. Die einzige Stimme, die zur Auswahl steht, ist so offensichtlich auf einen durchschnittlich aussehenden weißen Mann zugeschnitten – wie denjenigen, der bei der Präsentation auf der E3 zu sehen war -, dass es sich seltsam anhört, wenn sie aus dem Mund eines Charakters kommt, der anders aussieht. Diese Beschränkungen wirken in einem Spiel fehl am Platz, das in anderen Belangen so viel Freiheit bietet. Ich fühle mich der baufälligen Hütte, die ich in Sanctuary errichtete, mehr verbunden als dem langweiligen, unlustigen Typen, als der ich spiele.

Und diese frustrierenden Beschränkungen gehen über das Aussehen hinaus. Die vorherigen Fallout Spiele erlaubten den Spielern, zusätzlich zu den SPECIAL Stats (Werte) Eigenschaften (traits), Fähigkeiten (skills), Perks und Tag Skills festzusetzen.; in Fallout 4 gibt es SPECIAL, Perks und nichts sonst. Dieses neue System mag geradliniger und eleganter sein, aber es ist ein weiteres Beispiel dafür, wie Bethesda die Möglichkeiten reduziert, auf die man den eigenen Charakter detailliert gestalten kann.

Ich bin mir sicher, dass die Entwickler ihre Gründe, vielleicht sogar gute, hatten. Fallout ist mittlerweile eine extrem erfolgreiche Mainstream-Serie, weshalb man sie offensichtlich noch leichter zugänglich machen wollte, damit auch Gelegenheitsspieler und Neulinge auf den Geschmack kommen. Nicht jeder möchte ein Rollenspiel mit enormer Spieltiefe spielen. Doch die Konsequenz davon ist, dass die Pfütze noch seichter wird. Fallout 4 hat all die Merkmale eines Rollenspiels – Quests, Erfahrungspunkte, Städte, Handel, Begleiter -, aber das alles ist ziemlich oberflächlich. Es ist wie eine Hommage an Rollenspiele, vielleicht auch eine Imitation: Es sieht auf den ersten Blick gut aus, aber wenn man etwas genauer hinsieht, erkennt man, dass „Elvis“ in Wahrheit ein Typ mit einer billigen Perücke ist.

Die Quests sind genauso schlecht. Nach fast 40 Stunden intensiven Spielens kann ich mich an keine erinnern, die mir die Möglichkeit gab, einen Kampf zu vermeiden, einen Gegner zu überzeugen, nicht zu kämpfen, meinen Charme einzusetzen oder mir etwas auszudenken, um die brenzlige Situation ohne Kampf zu meistern. Vielleicht hatte ich ja ur Pech und all die umfangreich, sich verzweigenden, interessanten Quests warten noch da draußen auf mich, aber das bezweifle ich. Dazu muss ich einfach zu viel schießen.

Gelegentlich hat man die Möglichkeit, einen Geschützturm (turret) zu hacken, aber mehr Abwechslung und taktische Tiefe bietet das System nicht. Das Design mancher Levels erinnert mehr an einen First-Person-Shooter als an ein Rollenspiel: eine Serie von Räumen, verbunden durch Gänge, gefüllt mit Feinden, die geduldig darauf warten, dass man sie tötet. Es gibt ab und zu ein Terminal, das die Vorgeschichte Ihrer Umgebung erläutert, aber das reicht nicht aus, darüber hinwegzutäuschen, dass viele dieser Orte, wenn man sie genauer betrachtet, bloß aufwändige Schießstände (shooting galleries) sind.

Es ist wirklich seltsam, dass man in einer an Ressourcen äußerst armen postapokalyptischen Landschaft immer und überall Waffen und Munition findet. Man kann keine fünf Meter gehen, ohne dass einem Kugeln oder Laser um die Ohren pfeifen. Wenige Minuten nach der Intro-Sequenz findet man eine Pistole und reichlich Munition. Die Leute von Bethesda lieben es offensichtlich, Schusswaffen zu gestalten, aber vielleicht hätten sie etwas von der Energie darauf verwenden sollen, Charaktere zu kreieren, die nicht an fühlende Schaufensterpuppen aussehen, oder Dialoge zu schreiben, die nicht so gekünstelt und leblos sind.

Aber trotzdem kann ich es nicht erwarten, Fallout 4 weiterzuspielen. Das Gefühl, interessante Entdeckungen zu machen – eine Richtung einzuschlagen, zu wandern und sich zu fragen, auf welch schöne Szenerie, bizarre Kreatur oder verrückte kleine Geschichte man stoßen wird -, ist so vergnüglich wie damals, als ich zum ersten Mal Morrowind spielte. Aber es ist entmutigend zu sehen, wie das Rollenspielfundament von Fallout langsam verschwindet. Ich bin mir sicher, dass die Leute von Bethesda ein wirklich reiches, komplexes Spiel entwickeln könnte, wie es die Originale waren, wenn sie denn wollten, aber sie müssen es nicht tun. Warum also die Formel verändern? Doch das heißt nicht, dass es mir gefallen muss.

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