Mit ihrem zweiten Album beweist Olcay Bayir, dass sie zu den feinsten, faszinierendsten Sängerinnen der britischen World-Music-Szene zählt, was nicht zuletzt daran liegt, dass ihr Stil ihre komplexe Lebensgeschichte widerspiegelt. Sie wurde in der sehr unruhigen Kurdenregion im Süden der Türkei geboren, noch dazu als Mitglied der religiösen Minderheit der Aleviten. Ihr Vater ist ein Ashik, ein Sänger und Musiker, der bei religiösen und sozialen Zeremonien auftritt. Anno 2000, als sie gerade 16 war, änderte sich ihr Leben dramatisch. Ihr Vater übersiedelte mit der ganzen Familie nach London “for a better life”. Bayir, die anfangs kein Wort Englisch sprach, studierte schließlich Musik und machte eine Ausbildung zur klassischen Sopranistin. Dann fing sie an, ihre neuen Fähigkeiten mit der anatolischen Folk-Tradition zu vermischen, wobei verschiedene Mitglieder der kosmopolitischen Musikszene Londons behilflich waren. Ihr 2014 erschienenes Debütalbum Neva (“Harmonie”) bot Folk-Songs in fünf Sprachen; ihr neuestes Werk Rüya (“Traum”) ist noch mutiger, denn hier erfreut sie erstmals auch mit Eigenkompositionen. Das Album wurde von Giuliano Modarelli und Al MacSween , die dem eklektischen Jazz-Kollektiv Kefaya angehören, mit großer Sorgfalt und viel Einfühlungsvermögen produziert. Es beginnt mit einem Song des verstorbenen Veysel Şatiroğlu, eines gefeierten Ashik,bei dem Bayirs cooler, gefühlvoller Gesang perfekt mit Modarellis sanft treibendem Gitarrenspiel und der von ihrem Bruder gespielten Saz Laute harmoniert. MacSween steuert für einen Song des kurdischen Musikhelden Şivan Perwer trällernde Klavierbegleitung bei, das traditionelle türkische Tanzlied „Dolama Dolamayi“ wird durch mitreißendes Geigenspiel noch eine Spur besser und das Klagelied „Elif“ wird durch herrlich traurige Duduk-Klänge noch erheblich atmosphärischer. Doch die besten Tracks sind die von Bayir geschriebenen, vom Liebeslied „Yar Dedi“ mit Klavierbegleitung bis hin zum sanft exquisiten und erhebenden Titeltrack. Ihre Texte sind von Sufi-Poesie inspiriert und auf Türkisch, aber Übersetzungen liegen bei.
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