Mehr Hirn hätte dem Spiel gut getan
Dead Island ist wahrscheinlich die realistischste Darstellung der unvermeidlich auf uns zukommenden Zombie-Apokalypse der Videospielgeschichte. Die charakteristischsten Elemente sind Verzweiflung, Opfer, Frustration, Furcht und ein alles andere in den Schatten stellendes Gefühl der Hoffnungslosigkeit.
Aber das Ganze hat einen Haken. Obwohl die Zombieapokalypse mitunter auf grimmige Weise befriedigend sein oder kurzzeitige Triumphgefühle aufkommen lassen kann, wenn man eine weitere Nacht überlebt hat, wird sie eines garantiert nie machen – Spaß.
In Dead Island sind Sie einer von vier Überlebenden auf der Insel Banoi und werden schon von Untoten belagert, wenn das Spiel beginnt. (Bizarrerweise sind die drei Charaktere, die Sie nicht auswählen, in allen filmischen Zwischensequenzen zu sehen, aber nie im eigentlichen Spiel.) Die vier Überlebenden sind gegen nekrotisierende Zombiitis (oder wie immer das heißt) immun und tun das einzig Sinnvolle: sie machen sich auf den Weg über die Insel, um a) einen Weg zu finden, die Insel zu verlassen, und b) allfälligen weiteren Überlebenden zu helfen.
In Dead Island anderen Menschen zu helfen, besteht zumeist darin, sich einen Weg zu einem Gegenstand oder einer Person zu bahnen und auf dem Hin- wie dem Rückweg unzählige Zombies zu töten. Da ich in den vergangenen Tagen mehr als 20 Stunden damit zugebracht habe, unendlich viele Zombies zu töten (statistisch gesprochen), möchte ich Ihnen hier von meinen Erfahrungen berichten.
Zuerst steht Ihnen nur ein Paddel zur Verteidigung zur Verfügung, aber wenn die Zombies nach und nach größer, stärker, aggressiver und explosiver werden, werden Sie sich alles von Macheten und Messern bis hin zu Hutständern und Vorschlaghämmern krallen. Sie können Geld ausgeben, um Ihre Waffen zu verbessern, oder diese mit allen möglichen Gegenständen, die Sie auf der Insel finden, etwa Batterien oder Rohren, modifizieren, um mit ihrer Hilfe die Zombies zu lähmen, in Brand zu stecken, etc.
Sie werden in Dead Island viele fantastische Waffen finden und zusammenbasteln, aber keine wird Ihnen ein besonderes Gefühl von Sicherheit vermitteln, denn alle diese Waffen bauen sehr schnell und die Reparatur der wirklich guten Waffen ist sehr teuer. Deshalb wird das Vergnügen, einen Zombie mit dem Elektro-Katana zugleich zu zerstückeln und mittels Elektroschock zu lähmen, durch das Wissen gemindert, wie teuer es ist, dieses wieder auf Vordermann zu bringen.
Das Spiel ermutigt Sie, mit Waffen zu werfen, aber wenn Sie dies tun, laufen Sie Gefahr, das das gute Stück in ein Gebiet fällt, das Sie (noch) nicht betreten können, oder unter etlichen Leichen zu liegen kommt, wo es ebenfalls für Sie verloren ist. Außerdem, wenn Sie Ihre Waffe auf der Flucht vor zu vielen Zombies als Wurfgeschoß benützen, verabschieden Sie sich im Prinzip auf Nimmerwiedersehen von dem guten Stück. Ein weiteres System, das Spaß machen sollte, es aber nicht tut.
Während das Werfen von Waffen cool, aber zu teuer ist, ist der Nahkampf, der hier ihr täglich Brot sein wird, nur ärgerlich. Begegnungen mit einzelnen Zombies sind zumindest eine Weile lang recht erfreulich, vor allem wenn man Köpfe und Gliedmaßen abschlägt. Aber das bei weitem häufigere Szenario ist, dass Sie von etlichen Zombies zugleich angefallen werden und sterben – und zwar oft. Mit wie vielen Zombies Sie es auch zu tun haben mögen, die Taktil ist immer dieselbe: Hämmern Sie auf den rechten Trigger. Schlagen Sie um sich, stundenlang. Es gibt zwar auch die Möglichkeit des Fußtritts, aber der funktioniert nur gegen einen einzelnen Gegner und geht allzu oft ins Leere, weshalb er keine sinnvolle Methode darstellt, sich Platz zu verschaffen. Das Nahkampfsystem bräuchte dringend mehr Tiefgang. Eine Abblockmöglichkeit wäre zum Beispiel nett gewesen.
Hoffen Sie vielleicht, dass Schusswaffen die Monotonie beseitigen werden? Vergessen Sie es. Die Zombies führen gar keine Schusswaffen mit sich, weshalb es einige Stunden dauert, bis Sie welche zu sehen bekommen, und zwar erst dann, wenn Sie Gruppen von nicht zombifizierten Menschen bekämpfen.
Nein, Sie werden fast ausschließlich stark abbauende Nahkampfwaffen benützen, weshalb Sie alles sehr sorgfältig absuchen müssen, um auch immer eine gute Waffe zur Hand zu haben. Beim Betreten fast aller Räume im Spiel tun sich vor Ihnen 10 - 15 Areale auf, die Sie durchsuchen sollten, wobei sie zumeist ein wenig Draht, ein Deodorant (oder sonst irgendetwas Wertloses) und ein wenig Geld finden. Falls Sie eine Waffe finden, müssen Sie diese, da Ihr Inventar unweigerlich voll sein wird, ganz genau mit allen anderen mitgeführten Waffen vergleichen. Wenn das Betreten eines jeden Raumes mit dem Durchsuchen von sieben Mistkübeln und dem vergleich der Haltbarkeit zweier Hämmer verbunden ist, dann sind Leerläufe und aufkommende Langeweile unvermeidlich. Oh, und habe ich schon darauf hingewiesen, dass die Gegenstände in den durchsuchbaren Räumen immer wieder ergänzt werden, weshalb Sie diesen banalen Tanz ständig aufs Neue wiederholen können? Juhu!
Zumindest durchsuchen Sie die Mistkübel in wirklich wunderschönen Umgebungen. Techlands selbst entwickelte Chrome Engine 5 bringt wirklich beeindruckende Sachen hervor, vor allem in den Dschungeln, die so üppig sind, dass man instinktiv nach dem Insektenspray greift.
Leider wurde der Rest des Spiels nicht mit so viel Sorgfalt umgesetzt. Kleine Anzeichen von Vernachlässigung – weit weniger schwerwiegend als die Balance-Probleme mit den Waffen, aber nicht weniger irritierend - sind überall zu bemerken.
Ihre gelegentlichen AI-Begleiter sind mehr als nur dämlich und rennen zum Beispiel einfach so mitten in ein Molotov-Cocktail-Feuer hinein. Mindestens dreimal musste ich eine Mission von vorne beginnen, weil ein AI-Begleiter vom Weg abgekommen war und ich deshalb die Mission nicht zum Abschluss bringen konnte. In einem anderen Fall bestand meine Begleiterin darauf, vor den Zombies davonzulaufen, aber sie lief nicht schnell genug, weshalb wir immer wieder aufgefressen wurden.
Das Online-System hat seine eigenen Probleme. Zugegeben, es macht viel mehr Spaß, mit einem Freund (oder auch drei Freunden) gemeinsam zu spielen. Aber falls Sie solo spielen möchten (was wohl die meisten bevorzugen werden), sollten Sie wissen, dass das Spiel ohne Vorwarnung im Co-op-Modus startet (das ist die Default-Einstellung), was Sie zumeist erst bemerken, wenn ein völlig Fremder in Ihr Spiel einsteigt. Wenn sie allein spielen möchten, müssen Sie zum Hauptmenü zurückkehren und dort Solo einstellen; doch selbst dann erhalten Sie ständig Hinweise, dass sich irgend ein anderer Spieler gerade in demselben Bereich befindet und sein Spiel nur einen Knopfdruck entfernt ist. Wenn man ständig über den Spielfortschritt von „PeterGryffud319y“ informiert wird, fällt es schwer, sich ganz in das Spiel zu vertiefen.
Dead Island bietet so viel Inhalt, weshalb es wirklich schade ist, dass nicht mehr Arbeit investiert wurde, um das Spiel zu einer wirklich unterhaltsamen Angelegenheit zu machen. Es gibt eine wunderschöne Welt zu erforschen, dazu interessante Ideen und coole Waffen. Aber das Spiel selbst ähnelt zu sehr seinen Protagonisten: Es schlurft voran, aber gerade einmal so.
PRO: Wunderschöne Umgebungen; coole Waffen; eine interessante neue Variante des Survival-Horror-Genres; tolle Grafik mit vielen blutigen Details; realitätsnahe Darstellung der Zombie-Apokalypse; fesselnder kooperativer Multiplayer.
CONTRA: Monotone Nahkämpfe; mühsames wiederholtes Absuchen von Räumen; eindimensionale Charaktere; AI-Glitches; die Missionen werden immer langweiliger; ständiges Vergleichen von Waffendaten.
Abschließende Bewertung
Spiel: 6,5
Spaßfaktor: 5,75
Gut geschriebener Beitrag, dem ich fast vollständig zustimmen kann! Warten wir mal ab, was "Dead Island Riptide" bieten wird...
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