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Snoop Lion: Reincarnated (Albumkritik)

 

snoop lion 01 Snoop Lion

Reincarnated

(RCA)

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Eifrige Beobachter der Karriere des früheren Snoop Dogg werden höchstwahrscheinlich wissen, dass Reincarnated – auf dem er sich als Snoop Lion, rastafarischer Lieferant von spirituellem Reggae, neu erfindet – nicht das erste Mal ist, dass der Rapper seine Unzufriedenheit mit Hipp-Hop zum Ausdruck bringt und versucht, die musikalische Richtung zu verändern. Man kann nur spekulieren, was aus der Band wurde, die er 2006 ankündigte und verlockend als „R&B with a twist … we're basically a male chauvinist group" beschrieb. Doch seine neueste musikalische Unternehmung ist seine bislang umstrittenste, was an sich schon eine tolle Leitung ist, wenn man bedenkt, dass diese R&B Gruppe Nine Inch Dicks hieß. Kaum war Reincarnated aufgenommen, verlautete aus Jamaika, dass seine Hingabe an den Rastafarianismus ernsthaft bezweifelt wird. Bunny Wailer, der an dem Album mitwirken sollte, beschrieb es als „outright fraudulent" (offensichtlich betrügerisch), während das Rastafari Millennium Council damit drohte, ihn zu verklagen, sollte er das Ganze nicht bleiben lassen und seinen Namen nicht zurück auf Snoop Dogg ändern. Das kommt möglicherweise dabei heraus, wenn man seinen religiösen Wandel vollzieht, während man auf Jamaika eine Dokumentation mit dem Vice Magazine dreht.

Wie jeder, der das bemerkenswerte Portrait in John Jeremiah Sullivans Buch Pulphead gelesen hat, weiß, ist Bunny Wailer ein ziemlich kratzbürstiger Charakter: Er verklagt gerade Adidas auf $100 Millionen Schadenersatz, weil das Unternehmen ein T-Shirt verkaufte, auf dem ein Bild zu sehen war, das im ähnlich sieht. Man kann aber seine Vorbehalte nachvollziehen: In einem vor kurzem mit dem Guardian geführten Interview schien Snoop den Rastafarianismus als Marketing-Übung und brachte nur sehr wenig Zeit damit zu, über die Verkommenheit und die politischen Tricks der Unterdrücker Babylons zu sprechen, während er sich ausführlich darüber ausließ, wie sehr er Frauen mit großen Hintern liebt.

Ein kurzer Blick auf die Credits von Reincarnated könnte einem auch zu denken geben – und nicht nur, weil sie darauf hinzuweisen scheinen, dass nicht weniger als 16 (!) Leute nötig waren, um den Text eines Songs namens „Smoke the Weed“ zu schreiben: "Smoke the weed every day, don't smoke the seeds, no way … smoke the weed, hey-hey." Zu den Gaststars zählt auch Chris Brown, vermutlich nicht der erste Name, an den man denkt, wenn es um den idealen Begleiter auf einer Reise zu profunder spiritueller Erkenntnis geht. Auch an Miley Cyrus wird man dabei wohl kaum denken, aber in ihrem Fall besteht durchaus die Möglichkeit, dass Snoop Lion ihren Vornamen einfach falsch verstand und meinte, sie wäre eines der zahllosen Kinder des verstorbenen Bob: Wenn Sie sich Reincarnated anhören, werden Sie rasch bemerken, dass es sehr leicht wäre, Dinge falsch zu verstehen, da fast alle Beteiligten darauf bestehen, mit jamaikanischem Akzent zu singen, wo immer sie auch herkommen mögen; auch das dies die meisten nicht wirklich überzeugend hinbekommen, scheint sie nicht abgehalten zu haben. Dann wäre da noch Drake, der auf „No Guns Allowed“, einem Song mit antimaterialistischem Unterton, auftaucht. Er beginnt mit der Zeile „Money makes a man and that's a crime“. Drakes eigene Hingabe an ein Leben, das auf die vulgären Merkmale oberflächlichen Konsums verzichtet, wurde vor kurzem erst wieder demonstriert, als er in einem Stripclub in North Carolina die Tänzerinnen mit $50.000 in bar überschüttete. „We even got the drummer from the Police on there“, erzählte Snoop solz dem Dokumentarfilmteam von Vice. Moment, Du begabst Dich extra nach Jamaika, um ein Reggea-Album zu machen und engagiertest am Schluss den Schlagzeuger von The Police? Wer ist noch auf dem Album zu hören? Einer von Typically Tropical?

„Are we really making a roots reggae record?" fragt Mitmusikerin Angela Hunte verwundert während der Reincarnated Dokumentation. Die antwort darauf scheint ziemlich eindeutig zu sein: „No, you're not". Das liegt zum Teil daran, dass die Texte die Wildheit und den feurigen Glauben vermissen lassen, die den Roots Reggae so packend und bewegend machen, selbst wenn man überzeugt ist, dass die Ideen, die ihm zugrunde liegen, völliger Quatsch sind. Auf „Tired of Running“ gibt es einen faszinierenden Moment, in dem er das eine zu tun scheint, was Gangster-Rapper nie tun: er übernimmt ein wenig Verantwortung dafür, dass er die Gewalt glorifiziert. Daneben gibt es gelegentliche Verneigungen vor Marley („No one can stop the time"), aber großteils ist Snoops Art des Rastafarianismus wenig mehr als eine Joints rauchende, „yeah-mon“ Cartoon-Variante; von der Höllenfeuer-und-Schwefel, Babylon soll fallen Variante ist er Welten entfernt.

Doch wenigstens ist Major Lazers Produktion über weite Strecken fantastisch. Auf „Here Comes the King“ und „No Guns Allowed“ werden die Popmelodien von Hunte – ihr haben wir nicht nur das Original von Jay-Zs „Empire State of Mind“ zu verdanken, sondern auch zahlreiche Beiträge zum Oeuvre von Britney Spears sowie das Soloalbum der Dame von Aqua - of Aqua – mit plötzlichen Ausbrüchen höhlenartigen Dubhalls versetzt: es besteht eine aufregende Spannung zwischen der der Lieblichkeit der Melodien und den düsteren, wogenden Rhythmustracks dahinter. Es gibt auch wirklich schlechte Momente - etwa „The Good Good“, das an den fahlen akustischen Surferpop von Jack Johnson erinnert, und „Fruit Juice“, in dem Mr Vegas und unzählige Dancehall-Effekte auftauchen, das aber trotzdem noch wie etwas aus der CBeebies Serie Rastamouse klingt: "Natural berries are so good for the system – some tart, some sweet, mi just can't resist 'em." Qualitativ irgendwo in der Mitte anzusiedeln sind „So Long“ und „Tired of Running“, geradlinige Potpourris des Pop-Reggae der 80-er Jahre, und „Get Away“, das wie 2013 Pop-Rave mit einem leichten Dancehall-Makeover klingt.

Als Pop-Reggae-Album ist Reincarnated im Großen und Ganzen OK, doch als Erweiterung des Kanons aufrichtiger, spiritueller rastafarischer Musik ist es gar nicht überzeugend und eigentlich eine Beleidigung. Wären Sie Bunny Wailer, würden Sie sich ebenfalls ein wenig über die stark vereinfachte, cartoonartige Darstellung Ihrer religiösen Überzeugungen ärgern. Aber Snoop könnte einwenden, dass dies von ihm nicht anders zu erwarten war: Er war von Anfang an dafür bekannt, cartoonartige Stereotypen zu verewigen. Die Leute lieben diese Stereotypen – und ihn – vermutlich mehr als seine Musik, die schon seit Jahrzehnten ziemlich durchwachsen ist. Sie könnten also auch dieses Album lieben. Und sollte dies nicht der Fall sein, kann er ja jederzeit die Nine Inch Dicks wiederbeleben.

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