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Drake: Scorpion (Albumkritik)

 

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Drake: Scorpion (Young Money/Cash Money/Republic)

 

Bewertung

 

Auf einem Album, das mit Offenbarungen gefüllt ist, ist die wohl erstaunlichste in „Can’t Take a Joke“ (ein Song, der den Preis für den Drake-artigsten Titel der Musikgeschichte gewinnen würde, gäbe es da nicht seine vor kurzem erschienene Single „I’m Upset“) zu hören: Drake liest die Kommentare. Außerdem sagt er, dass die Kommentare “[are] killing me”, und zwar so sehr, dass die persönliche Botschaft, die von Drake geschrieben und Scorpion beigefügt wurde, zur Gänze aus negativen besteht: DRAKE IS FINISHED, DRAKE IS A POP ARTIST, DRAKE MAKES MUSIC FOR GIRLS, etc.

 

Das erscheint verwunderlich und bietet einen merkwürdigen Einblick in das Leben eines der erfolgreichsten Künstler seiner Ära. Allem Anschein nach verbringt ein Mann, der mehr Billboard Hot 100 Hits aufzuweisen hat als jeder andere Solokünstler der Geschichte (das ist auch dem Umstand zu verdanken, dass beim Streaming alle Tracks eines Albums einzeln gewertet werden), seine freie Zeit in seiner $8 Millionen teuren Villa in Hidden Hills Villa damit, verbringt, darüber nachzugrübeln, was baz_27 über ihn zu sagen hat, anstatt die Annehmlichkeiten des Erfolgs zu genießen und Einladungen zum Barbecue von Nachbarn wie Miley Cyrus und LeAnn Rimes anzunehmen. “Scrolling through life and fishing for praise”, meint er auf „Emotionless“, während ein Sample von Mariah Careys „Emotions“ im Hintergrund heult. “Opinions from total strangers take me out of my ways.”

 

Andererseits, natürlich macht er das. Von Anfang an hat sich Drakes Masche um Solipsismus und Selbstmitleid gedreht – wie hätte er einem so reichen Strom der Inspiration, so vielen Gründen, sich selbst zu bemitleiden, widerstehen können?

 

Wenn es denn wahr ist, wird er wohl kaum den Gag übersehen haben, der online zu zirkulieren begann, nachdem Scorpion als zwei Alben – eines Rap, eines R&B - angekündigt worden war. Das veranlasste einen Witzbold auf Twitter zu der Bemerkung: “Biggie released a double after he died too”, was ihm mehr als 12.000 Retweets einbrachte. Der Witz besteht darin, dass Drake in seinem Beef (Streit) mit Pusha-T und Kanye West deutlich den Kürzeren gezogen zu haben scheint.

 

Besagter Streit wird in Scorpion immer wieder thematisiert. In „March 14“, der Schlussnummer des Albums widmet er sich Pushas großer Anschuldigung – dass Drake einen geheimgehaltenen Sohn haben soll – auf eine Weise, die man nur als beeindruckend „markengerecht“ bezeichnen kann. Über sehr sparsamer Begleitung, die nur aus Schlagzeug und einem bemerkenswert verzerrten, psychedelischen D’Angelo Sample besteht, gesteht er die “harsh truth” ein und verspricht, für sein Kind da zu sein, um dann darauf hinzuweisen, wer das wahre Opfer in dieser Geschichte ist, das sich mit einer gewissen donnernden Unweigerlichkeit als Drake entpuppt. “I’m out there on the front lines, trying to make sure that I see him sometimes, it’s breaking my spirit“, rappt er, ehe er in einen alten Boyz II Men Song ausbricht: “No one to cry on, I’m all alone, I need shelter from the rain to ease the pain.”

 

 

An anderer Stelle nimmt Drake Wests Äußerung, er sei hellhäutig, ins Visier, verspottet ihn für die 2016 ausgestreuten Gerüchte, er hätte $56 Milionen Schulden, und schnaubt, dass die vor kurzem erschienen Alben von West und Pusha-T von stark wechselnder Qualität seien: “When I heard the shit I was skipping through that.” Er klingt engagiert – als habe dieser fortgesetzte Krieg der Worte seinen Mut befeuert – und er hat nicht ganz Unrecht, obwohl man natürlich entgegnen könnte: Look who’s talking.

 

Man kann Drakes Verlangen verstehen, ein grandioses Statement zu machen, dass alle musikalischen Bereiche von Trap bis hin zur 90er-Jahre-R&B Slow Jam von „After Dark“ abdeckt, aber das Problem von Scorpion ist, dass es zu wenig starkes Material enthält, um die enorme Laufzeit zu rechtfertigen. „I’m Upset“ und „Nonstop“ sind plattes Füllmaterial, und der federgewichtige Pop von „Ratchet Happy Birthday“ hätte ebenfalls gestrichen werden sollen. Manche Fehltritte erscheinen rätselhaft – „Mob Ties“, eine langweilige 08/15-Hommage an Migos ist seiner nicht würdig – und andere allzu vertraut: „Finesse“ ist ein weiterer dieser melodisch abschweifenden Drake Tracks, die den Eindruck erwecken, er ziehe sich einfach etwas aus der Nase, während die Aufnahme läuft.

 

Das ist äußerst ärgerlich, da Scorpion immer wieder fantastisch und ein stärkeres Argument für Drakes Größe ist als alle Großtuerei. „Don’t Matter to Me“ isoliert ein Michael Jackson Sample (von einer unveröffentlichten Gesangsaufnahme, die Drake mit Genehmigung von Jacksons Nachlass verwendet) über samtweichen Synthesizern, womit er die oft übersehene Unheimlichkeit seiner Stimme betont. „Summer Games“ ist eine kühne Übung in Minimalismus - ein elektronischer Riff, der aus einer Note besteht, läuft durch den ganzen Song -, die nicht ermüdend, sondern hypnotisch wirkt. Das von DJ Premier produzierte „Sandra’s Rose“ ist eine wunderbare Mischung aus alten Soul-Samples und Kirchenorgel.

 

 

Er ist nicht gerade für seinen Sinn für Humor bekannt, doch dass er in„In My Feelings“’ ene Szene einbaute, die auf Drake in Donald Glovers TV-Komödie Atlanta anspielt, ist ziemlich witzig. Und wenn „Finesse“ Drakes Auto-Tuned Abschweifen in seiner wirrsten Form repräsentiert, dann zeigt „Peak“ diese Herangehensweise von ihrer besten Seite: extrem langsam und authentisch eigenartig, wobei seine Atmosphäre der Melancholie der frühen Morgenstunden von harschen elektronischen Klängen untermalt wird, während der britische MC Stefflon Don und ein paar Schulfreunde über ihr Liebesleben plaudern.

 

Was auch immer irgendjemand in den Kommentaren oder den sozialen Medien sagen mag, Drake ist ein so riesiger Star, dass Scorpion garantiert zum Hit wird. Es wäre wahrlich nicht überraschend, würde es einen weiteren Streaming-Rekord brechen. Aber der Umstand, dass es ein gutes Album ist, das das Zeug dazu gehabt hätte, mit entschlossenerem Editing großartig zu werden, sagt vielleicht mehr über die Isolation, die der Mega-Ruhm mit sich bringt, aus als alle Beschreibungen der Angst des reichen Mannes seines Schöpfers: es bietet den Sound einer Welt, in der niemand einem Superstar sagt, das genug genug ist.

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