Ich heiße unsere neuen Roboterherrscher herzlich willkommen: uns selbst. Die transhumane Zukunft von Deus Ex ist endlich da.
Wenn von „Open-World“ Spielen die Rede ist, sind zumeist Spiele gemeint, die in einem riesigen virtuellen Sandkasten angesiedelt sind, der den Spielern eine Bewegungsfreiheit gewährt, wie man sie in den Gängen und Hallen der meisten Action/Abenteuerspiele mit klar strukturierter Handlung vergeblich sucht. Aber die „Offenheit“ von Deus Ex: Human Revolution, dem sehnlichst erwarteten neuesten Teil der sehr geschätzten Deus Ex-Reihe, setzt auf eine andere Art von Offenheit, die alle Spieler, die neben dem Schießen auch gerne einmal ein wenig Nachdenken, erfreuen wird. Diese Offenheit bezieht sich auf die Entscheidungen des Spielers sowie seinen Spielstil und ist genauso befriedigend wie seinerzeit das Originalspiel. Und das war geradezu revolutionär.
Seit damals haben jedoch viele Spiele diese Mischung aus Shooter und Rollenspiel zu neuen Höhen geführt. BioShock und Mass Effect sind hier besonders zu erwähnen. Diese beiden Spiele vereinen die Konventionen des Shooter-Genres mit der größeren Komplexität der Rollenspiele, und zwar auf eine Weise, die ohne Zweifel vom Gameplay des ersten Deus Ex beeinflusst wurde. Darüber hinaus sind diese beiden Titel Deus Ex: Human Revolution in punkto Story bei weitem überlegen. In dieser Beziehung weist Human Revolution einige Schwächen auf: Das Spiel bemüht sich sehr, eine mitreißende Story voll moralischer Ambiguität zu erzählen, doch letztendlich ist das Ganze zu moralisierend und für die Gegenwart nicht gerade relevant. Sicher, „verbesserte“ Menschen, wie sie in Deus Ex: Human Revolution vorkommen, könnten schon bald möglich sein. Aber würde wirklich jemand ernsthaft argumentieren, dass die heute schon möglichen „Verbesserungen“ – Prothesen für Amputierte oder künstliche Herzen und Herzschrittmacher – uns weniger menschlich machen?
Die spekulative Geschichte von Deus Ex: Human Revolution ist leidlich unterhaltsam und regt zum Nachdenken an. Aber die Art und Weise, wie diese sich die Story entfaltet, ist weniger ausgefeilt als bei den zuvor erwähnten Spielen. Verschlimmert wird das Ganze noch durch die abgedroschene Sprache, lange vorher angekündigte Wendungen und klischeehafte Handlungsstränge. Und das Ende ist auch ein wenig enttäuschend. Der ganze Umfang der Verschwörung wird nicht einmal ansatzweise aufgedeckt, vielleicht um genug Stoff und Anknüpfungspunkte für Fortsetzungen zu haben. Falls Sie nach dem Durchspielen von Deus Ex: Human Revolution so etwas wie Befriedigung empfinden, liegt es sicher nicht daran, dass Ihnen eine besonders spannende Geschichte erzählt wurde.
Human Revolution ist vor allem aufgrund des Gameplay spielenswert. Diese Offenheit, diese Entscheidungsfreiheit - man kann an fast jede Aufgabe mit verschiedenen Methoden herangehen – ist die größte Stärke des Spiels. Es ist geradezu anregend, bei einer Mission zu scheitern, weil man dann alles noch einmal von vorne planen kann. Stürme ich einen Raum voller Wachen und werfe Grananten und schieße wild herum (sofern ich Grananten und ein Gewehr finde; diese Gegenstände sind vor allem zu Beginn ziemlich rar) oder schleiche ich ins Sicherheitsbüro, um den Computer zu hacken und die automatischen Sicherheitsbot auf die Wachen zu hetzen? Oder soll ich mich in einen Ninja verwandeln und mich durch den ganzen Level schleichen, ohne dass mich ein Wächter sieht oder hört? Diese verschiedenen Möglichkeiten sorgen dafür, dass das Spiel stets interessant bleibt. Es gibt jedoch eine eklatante Ausnahme: die Bosskämpfe.
Oh, wie sehr ich die Bosskämpfe in Deus Ex: Human Revolution hasse! Nachdem ich vor allem die Schleich- und Heimlichkeitsfähigkeiten ausgebaut hatte, um möglichst nicht aufzufallen, wurde ich auf einmal mit typischen Bossen alter Schule konfrontiert, die man nur besiegen kann (und man muss sie besiegen), indem man sie ohne Unterlass mit schweren Waffen beschießt. Das war eine ziemliche Enttäuschung. Und diese Gegner sind nicht einmal ansatzweise so originell wie die Bosse in Metal Gear Solid. Oft sind die Kämpfe ermüdend und schwer zu bestehen. Einige Male musste ich ein oder zwei Saves zurückgehen (zum Glück kann man Spielstände nach Belieben speichern), um den Level nach mehr Munition abzusuchen oder meine Fähigkeiten so anzupassen, dass ich dem jeweiligen Boss gewachsen war. Ich habe prinzipiell nichts gegen Bosskämpfe, aber diese wirken deplatziert und antiquiert.
Aber jedes Mal, wenn eine der Schwächen von Deus Ex: Human Revolution ihr hässliches Haupt erhebt, möchte ich dem Spiel sofort vergeben. Das Upgrade-System ist großartig; es macht Spaß, damit herumzuexperimentieren. Ich freue mich schon auf meinen nächsten Durchgang mit dem Spiel, um einen ganz anderen Weg einzuschlagen. Das Hacking-Minispiel macht ebenfalls ziemlichen Spaß. Und das visuelle Design ist, obwohl bedrückend orange, wirklich kreativ und wohldurchdacht, bis hin zu der futuristischen mode, die die Bürger von 2027 tragen. Diese kleinen Touches tragen maßgeblich dazu bei, dass die Atmosphäre glaubwürdige und passend ist.
Ein weiterer Aspekt des Spiels, der besondere Erwähnung verdient, sind die Gespräche. Ein paar Mal im Verlauf des Spiels werden Sie mit wichtigen Charakteren in Gespräche verwickelt und müssen diese überzeugen, etwas zu tun (etwa Ihnen die Codes geben, nach denen Sie suchen, oder verraten, wo sich eine Person aufhält). Die Dialoge wirken viel ausgeklügelter als selbst in BioShock oder Mass Effect. Jeder Charakter verfügt über eine Reihe persönlicher Eigenschaften, die Sie ausnützen müssen, indem Sie die richtigen Dialoge wählen. Das Ganze wird so clever präsentiert, dass man mitunter gar nicht das Gefühl hat, dass es sich um künstliche, vorab geschriebene Gespräche handelt. Und das ist sehr positiv.
Trotz der zahlreichen Mängel ist Deus Ex: Human Revolution insgesamt ein tolles spiel für all jene, die von einem Shooter mehr verlangen als nur hirnlose Ballereien. Die ständige geistige Herausforderung, sich für jede Mission eine Taktik zurechtlegen zu müssen, macht das Spiel so fesselnd; es setzt mehr auf Strategie als auf Spektakel. Das ist nicht unbedingt das, was sich alle von ihren Spielen wünschen, aber diejenigen dies es tun, sind mit Deus Ex: Human Revolution hervorragend bedient.
PRO: Das Gameplay steckt voller Möglichkeiten und Überraschungen; beeindruckendes visuelles Design, auch wenn die Farbpalette ein wenig eingeschränkt ist; man kann immer und überall speichern.
CONTRA: Bosskämpfe; verwirrender und enttäuschender Handlungsbogen; erwähnte ich die Bosskämpfe schon?
Abschließende Bewertung
Spiel: 7,75
Spaßfaktor: 7,25
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