Eine Insel, eine kurze, esoterische Einleitung, die von einem Mann gesprochen wird, der einer gewissen Esther schreibt und erklärt, dass die Insel unbewohnt ist, und die Möglichkeit, mich zu bewegen. Mit diesem Wissen beginne ich, Dear Esther zu spielen. Zwei Dinge springen mir ins Auge. Ein Radioturm mit seinem blinkenden roten Licht in der Ferne und ein Leuchtturm direkt neben mir. Wie wohl jeder weiß, sind Leuchttürme gleichbedeutend mit Magie, weshalb mich meine Schritte zunächst dorthin führen.
In diesem Moment erkenne ich, dass ich über keine Waffen verfüge. Die karge Thematik von Dear Esther erstreckt sich auch auf die Steuerung, wobei vor allem das Fehlen einer „Interagieren“ Taste auffällt. Interessant mit Sicherheit, aber auch merkwürdig, wenn man zur ersten geschlossenen Tür kommt und keine Möglichkeit hat, auch nur an der Klinke zu rütteln. Doch man lernt sehr schnell, dass die beschränkte Grammatik des Spiels noch viel drakonischer ist, denn ein kleiner Stein auf dem Weg, über den jeder hinwegsteigen könnte, erweist sich als unüberwindbare Hürde, da man anscheinend über flache Oberflächen gleitet und es kein „Springen“ gibt. Die Feinheiten der Steuerung auf diese Weise kennenzulernen, ist frustrierend. Hier heißt es nicht „Oh, ich kann das tun!“, es heißt „Oh, das kann ich nicht tun“.
Es wird schnell klar, dass es sich nicht um eine offene Insel handelt, die man nach Lust und Laune erforschen kann, sondern um sehr gut verschleierte enge Korridore. Das ist in Ordnung, aber man fühlt sich schnell auf ein bestimmtes Ziel hingedrängt, vor allem dann, wenn selbst kleinste Dinge zu Barrieren werden. Und obwohl die Details erstaunlich sind und die Insel wunderbar aussieht, wird ein überholter Aspekt der Source Engine auf ärgerliche Weise offensichtlich – alles Laub, das es in Überfülle gibt, ist 2D und dreht sich dem Spieler zu, wenn er sich bewegt. Das bedeutet, dass man das unheimliche Gefühl bekommt, dass einem die Pflanzen mit den Augen folgen, wenn man an ihnen vorübergeht.
Selbstverständlich macht der Umstand, dass man keine Arme hat, macht das Schwimmen ziemlich schwierig. Es gibt zwar eine Tastenverbindung für „hinaufschwimmen“ (swim up), aber die bewirkt genau gar nichts. Wenn Sie das Meer erkunden, ertrinken Sie.
Aber langsam - und je weiter ich voranschritt - begann alles, Sinn zu machen. Es geschieht ziemlich genau in dem Moment, da man die Höhlen betritt, dass klar wird, was Dear Esther sein möchte, und man anfängt, das Spiel als das zu akzeptieren, was es ist. Es gibt keine „Benützen“ Taste, weil man auf diesem unerbittlichen Pfad befinden soll, damit einem das Spiel seine Geschichte erzählen kann.
Die Höhlen sind atemberaubend. Total atemberaubend. Es ist zwar die ganze Insel sehr detailliert gestaltet und extrem hübsch, aber die Höhlen stellen alles andere in den Schatten. Sie sind meisterhaft ausgeleuchtet und so kompliziert gestaltet, dass ich einen Screenshot davon als Hintergrund für meinen Computerbildschirm benütze. Und hier ist der Korridor gerechtfertigt, die Story wird intensiver und die Geheimnisse fangen an, offenbar zu werden. Dieser zentrale Akt bereitet auf den letzten vor und wirft all die Fragen auf, die man beantwortet haben möchte.
Das lässt den ersten Akt etwas problematisch erscheinen. Indem es seine eigene Natur nicht von Anfang an deutlich macht, geht es in Dear Esther zunächst eher darum, seine Beschränkungen zu akzeptieren, anstatt seine Struktur zu genießen. Es wird nie weniger frustrierend, dass man keine sanfte Steigung hinaufgehen oder über einen Stein steigen kann, da uns Spiele über viele Jahre hinweg gelehrt haben, dass wir dies tun können, und wenn diese Regel gebrochen wird, wird die vierte Wand eingerissen und die fünfte, sechste und siebente schließen uns ein.
Das Skript ist wirklich gut. Manchmal ist es ein wenig abgedroschen, aber größtenteils ist es stark und bringt es auf sehr clevere Weise zustande, die Trennlinie zwischen metaphorischer Dichtung und einfacher Verschmelzung zu verwischen. Die größte Schwäche ist vermutlich, dass man, sobald man den „Oh, ich verstehe!“ Moment gehabt hat, nichts weiteres mehr zu erwarten hat, denn das Thema wird nicht mehr vertieft, sondern nur auf der Pointe herumgeritten. Aber Dear Esther existiert nur, um diese Geschichte zu erzählen – und das gelingt diesem Spiel vor dem wunderschön gestalteten Hintergrund der Insel ausgezeichnet. Das Geschehen und die Bilder werden zudem von wunderbarer Musik untermalt, die sehr zurückhaltend eingesetzt wird und mit Violinen und Klavier die gespenstische Atmosphäre verstärkt.
Für ein Spiel mit einer Spieldauer von gerade einmal eineinhalb Stunden ist der Preis von $10 ziemlich gesalzen, weil man zudem keinen Grund hat, es noch einmal zu spielen. Es ist sicher eine neue Erfahrung, aber eine, die sich künstlich selbst beschränkt, vielleicht sogar mit einer Spur Hybris. Wäre ich zynisch, würde ich sagen, dass das Spiel wohl ein wenig zu sehr in sich selbst verliebt ist und ein wenig darauf vergisst, wie ein neuer Spieler an die Sache herangehen soll. Ihre Arme sind von Anfang an hinter Ihrem Rücken zusammengebunden, denn, verdammt noch mal, Sie sollen sich die Geschichte anhören. Ist die Geschichte gut genug, um diese Maßnahme zu rechtfertigen? Das müssen Sie entscheiden. Für mich war es in bisschen zu wenig.
PRO: Tolle Atmosphäre; wunderbare Szenerie; interessantes du originelles Experiment.
CONTRA: Kaum Entscheidungsfreiheit; Laub nur zweidimensional; kein Wiederspielwert; ziemlich kurz; alles läuft auf eine Pointe hinaus.
Abschließende Bewertung
Spiel: 6,0
Spaßfaktor: 5,5
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