Die Anno-Reihe begibt sich in die Zukunft und macht dabei gute Figur
Die Anno-Spiele bedienen sich einer unüblichen Formel, die dennoch nie seltsam oder gar verrückt wird. Das soll heißen, dass sie in der generellen Spielelandschaft ungewöhnlich, aber als Spielerfahrung nicht exotisch sind. Im Prinzip geht es bei ihnen um Städtebau und das Sammeln von Ressourcen, wozu noch ein wenig Hochseeschiffahrt kommt. Die damit verbundenen Beschränkungen stellen die Herausforderung dar.
Anno funktioniert folgendermaßen: Das Bauen ist von einem sorgfältigen Technikbaum abhängig, wobei neue Technologien nur freigeschaltet werden, wenn die richtigen Leute in Ihren Siedlungen leben. Wohngebiete „aufzuleveln“, ist unbedingt erforderlich, will man die höheren Ebenen der Technikbäume erreichen. Das Sammeln der Ressourcen kann nicht, wie bei den meisten Echtzeitstrategiespielen üblich, in völliger Isolation erfolgen. Handel mit anderen Fraktionen ist unbedingt erforderlich. Am stärksten beschränkt sind Kampfhandlungen. Sie können mit Ihrer kleinen Flotte Kriege führen, aber diese Möglichkeit ist auf wenige Missionen und die Endspiel-Situationen beschränkt. Der Kampf ist keine Nebensächlichkeit, steht aber nicht gerade ganz oben auf der Liste.
All das trifft auch auf Anno 2070 zu, das aus den gewohnten historischen Szenarien ausbricht und stattdessen in der Zukunft spielt, vor dem Hintergrund einer globalen Klimakatastrophe. Es erinnert sehr stark an Anno 1404, seinen unmittelbaren Vorgänger, wobei Sie Ihre Zeit zwischen Städtebau und Beschaffen von Ressourcen (wofür Sie mehr Zeit aufwenden müssen) aufteilen und nur gelegentlich mit einem Schiff verschiedene Aufträge erledigen. Im Unterschied zu 1404 hat das Ganze allerdings einen techno-futuristischen Anstrich. Sie erledigen Ihre Aufgaben von einer „Arche“ aus, einem riesigen tauchfähigen Schiff, das als mobile Basis und Handelsplattform dient.
Es gibt zwei große Fraktionen: Ökotypen und Umweltzerstörer. Eigentlich heißen sie The Eden Initiative und The Global Trust, aber Sie verstehen sicher. Es gibt noch eine dritte Möglichkeit, verkörpert durch die SAAT, die soetwas wie eine supertechnisierte Fraktion sind, die sich ein neues Leben unter Wasser einrichtet. Die SAAT stehen irgendwo in der Mitte zwischen den beiden anderen und werden freigeschaltet, wenn Sie einen großen Teil des Spiels bewältigt haben. Diese Fraktion bietet Ihnen die Möglichkeit, unter Wasser zu bauen, was ein Novum für die Reihe ist, sich aber vom Bauen an Land nicht wesentlich unterscheidet.
Angesichts des Themas und der radikal gegensätzlichen Fraktionen ist es seltsam, dass es kaum einen Unterschied macht, ob man sich für die schmutzigen Industriefreunde oder die Ökofritzen entscheidet, und es auch keine Belohnung für „grünes“ Wirtschaften beziehungsweise Strafen für das Zerstören des Planeten gibt. Beide Fraktionen haben ihre speziellen Boni. Die Struktur des Spiels ist, für welche Fraktion Sie sich auch entscheiden, essentiell dieselbe; nur die Städte, die Sie bauen, sehen unterschiedlich aus. Ich verstehe nicht, warum das so sein sollte. Das Spiel sollte etwas über die beiden unterschiedlichen Standpunkte aussagen, sagt aber leider fast gar nichts.
Diese Ökosache spielt nur in die Umstände hinein, die die „Welt“ bewegen, in der sich befinden. Sandbox-Spiele (und hier handelt es sich „kontinuierlichen Sandbox-Modus“ mit einigen Einzelmissionen) bieten oft diplomatische Optionen, die sich direkt auf die Wirtschaft der Fraktionen auswirken. Dieses System wartet auch mit diversen Missionen auf, deren Erledigung Belohnungen einbringt. Zum Beispiel können alle Fraktionen Piraten bekämpfen – unbedingt erforderlich, wenn Sie Multiplayer-Partien spielen. Alle Ihre Aktivitäten drehen sich um die Vorraussetzungen und Ressourcen, die für die Errichtung der verschiedenen Gebäude erforderlich sind. Die Errichtung der Gebäude, die Balance zwischen den Rohstoffen und die Sorge um das Funktionieren der Wirtschaft halten Sie ständig auf Trab.
Das Besiedeln von Inseln, das Errichten und Vergrößern von Siedelungen und deren Erhaltung sind große Herausforderungen. Eine Kolonie zu ernähren und mit Nachschub zu versorgen, ist eine komplizierte Angelegenheit; das Gleichgewicht, das die Voraussetzung für kontinuierliche Expansion ist, zu erreichen und aufrechtzuerhalten, steht im Zentrum des Spiels. Es ist sehr befriedigend und man fühlt sich wie ein Meister, wenn man dies zuwege bringt. Die Belohnung besteht darin, dass man über eine Stadt der nahen Zukunft herrschen kann. Leute spazieren die Boulevards entlang, Fluggeräte brausen über den Hausdächern dahin und liefern Pakete aus, während Exo-Anzüge im Wald Bäume fällen.
Das Design der neuen Welt von Anno ist ein Vergnügen. Sie ist detailliert, animiert und wartet auch mit einigen exzentrischen Dingen auf, etwa einem herumvagabundierenden Flugzeugträger, der als neutrales Handelsschiff dient. Die eher praktischen Dinge, zum Beispiel das User Interface, verdienen weniger Lob. Der Technikbaum ist ein wenig klobig und „erfreut“ mit einer Popout „das macht das und erfordert das“ Kette für bestimmte Arten von Gebäuden, was wie ein riesiges Signal wirkt, das aus dem Interface herausspringt und auf sinnlose Beschäftigungen hinweist. Das Science-Fiction-Klischee eine virtuellen weiblichen Assistenten mit synthetisch klingender Stimme (wenig originell E.V.E. genannt) zeigt die Grenzen des Einfallsreichtums der Macher auf. Das spielt selbstverständlich keine große Rolle, da ich nur ein Spiel haben wollte, in dem ich hübsche Städte bauen kann, aber ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass mehr möglich gewesen wäre.
Die größte Schwäche von Anno 2070 ist vermutlich, dass es zu wenig aus den Tools macht, die es dem Spieler bietet. Inseln zu besiedeln - vor allem im Wettstreit mit anderen -, ist sehr befriedigend, aber Anno 2070 lässt den Wunsch nach mehr aufkommen. Ich würde gern Größeres erreichen, als die wenigen Ziele, die die Einzelspielermission (die zum Beispiel darin bestehen, das größte Gebäude im Technikbaum zu errichten) oder die schwache Story der Kampagne bieten.
Vielleicht wurde ich auch nur von 1404, dem Höhepunkt der Reihe, allzu sehr verwöhnt. Objektiv ist Anno 2070 vermutlich das bessere Spiel, weil es viel mehr zu bieten hat. Es gibt tonnenweise Inhalte und viele tolle kleine Ideen. Auch kann man es im Prinzip spielen, wie man will (vom pazifistischen Besiedeln der Inseln bis zur brutalen Inbesitznahme), und hat nur eine echte Schwäche: es fehlt eine plausible Story, die die losen Enden zusammenfügen würde. Die Kampagne ist, wie nicht anders zu erwarten, ein ausgedehntes Tutorial.
Über die Anno-Spiele zu schreiben, ist heimtückisch, denn obwohl sie relativ schnörkellos sind, sind sie doch eher etwas für Kenner und somit eher schwer zu definieren. Das Aufbauspiel ist hier ganz anders als bei SimCity oder CitiesXL, weil es eher ein Puzzle als eine Städtebausimulation ist. Der aktive Aspekt der Nutzung von Schiffen und des Interagierens mit anderen Fraktionen macht es eher zu einem Sandbox-Echtzeitstrategiespiel, nur dass ihm das typische Echtzeitstrategieelement des Einheiten verschlingenden Kampfes fehlt. Dies ist eine größtenteils friedliche Serie, was sie sehr erfrischend macht. Es ist eines jener Spiele, die dadurch Vergnügen bereiten, dass sie die Spieler mit den zur Verfügung gestellten Systemen spielen und sie zu Kolonisten werden lassen. Ich denke, Sie werden wissen, ob es eine Leere in Ihrem Spielerdasein füllt.
Falls Sie sich für das Spiel interessieren, sollten Sie die Demoversion ausprobieren. Wenn Ihnen 1404 gefallen hat, sollten Sie unbedingt zuschlagen. Das Einzige, was Ihnen den Spaß verderben könnte, ist der Umstand, dass Sie den Ubi-Launcher verwenden müssen, wann immer Sie spielen. Da das Spiel auf Steam verfügbar ist, könnte man sich dies problemlos sparen. Aber Sie wissen ja, wie das ist…
PRO: Spieltiefe; interessantes Design; coole futuristische Umgebungen; Städtebau unter Wasser.
CONTRA: Aus der interessanten Prämisse wird zu wenig gemacht; Zielvorgaben sind nicht sonderlich interessant; schwache Story.
Abschließende Bewertung
Spiel: 7,5
Spaßfaktor: 7
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