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Holly Herndon: Proto (Albumkritik)


Holly Herndon


Holly Herndon: Proto (4AD)



Es hat etwas Beruhigendes an sich, wie schlecht Googles neue voraussagende Email-Werkzeuge funktionieren – wenn AI nicht in der Lage ist, herauszufinden, was man der Buchhaltung mitteilen möchte, wird es noch lange dauern, bis sie imstande sein wird, einen Aufstand der Maschinen im Stil von Terminator zu organisieren. Also wie wahrscheinlich ist, dass AI Musik komponieren kann, wenn alltägliche Büroaufgaben für sie kreativ zu herausfordernd sind?

Holly Herndon, eine in Kalifornien lebende Komponistin elektronischer Musik, beschäftigt sich auf ihrem dritten Album mit diesem Moment sich langsam entwickelnden Machine Learning. Neben den Musikern ihres Ensembles kommt auch Spawn zum Einsatz, eine AI, die sie gemeinsam mit ihrem Ehemann Mat Dryhurst und dem Entwickler Jules LaPlace schuf und die allem zuhörte, was die Gruppe komponierte, und dies imitierte, um eigene Musik zu schaffen. Es ist nicht immer klar, welche Teile von Spawn kreiert wurden, aber Herndon entschied selbstverständlich, wie die Beiträge der AI verwendet werden sollten – und tatsächlich wirkt das gesamte Album eher wie eine Verkündung menschlicher Autorität denn eine Kapitulation vor den Maschinen.

Die menschliche Stimme ist das zentrale Instrument. In der großen Pop-Hymne „Eternal“ mögen ihre harten Kanten abgeschliffen worden sein, weshalb die Konsonanten so weich sind, dass man den Text mitunter kaum verstehen kann, sie mag glitchen und leiser werden, während Spawn versucht, sie im Call-and-Response-Choral „Evening Shades“ nachzuahmen. Aber sie hat Bestand und ist hörbar menschlich, selbst wenn sie digital stark bearbeitet wurde. Die keltischen Kadenzen des A-cappella-Duetts „Canaan“ haben etwas Heidnisches und Vor-Technisches an sich, während eine Choral-Passage in „Crawler“ liturgisch anmutet. Das Ganze hat vielleicht eine politische Dimension: indem sie sich in eine Vielzahl analoger und digitaler Stimmen aufspaltet, widersetzt Herndon sich dem Individualismus unserer Kultur deutet an, dass Netzwerk-Gemeinschaften genauso wertvoll sind wie „reale“.

Wie es schon bei der ASMR-Satire „Lonely at the Top“ auf ihrem vorherigen Album der Fall war, finden sich auch hier mehrere Tracks, die eher für eine Kunstgalerie geeignet erscheinen als für die heimische Stereoanlage. Aber es werden auch mutige, zugängliche kommerzielle Nummern geboten, etwa „Alienation“ – stellen Sie sich eine Power-Ballade vor, die von Jon Hopkins produziert wurde - und „Frontier“, wo ein krachender Dancehall-Beat mit Chor-Stimmen kombiniert wird, die an Sacred Harp oder gälische Psalmen erinnern.

Herndon tritt der Hysterie rund um AI mit einem Album entgegen, das diese als ein fragendes, niedliches Haustier an der Leine eines menschlichen Meisters präsentiert: ein fühlender, reagierender Teil der Familie.



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