Sam Smith: The Thrill of It All (Capitol)
Wie Sam Smith vor kurzem unter Tränen einem Journalisten der New York Times gestand, sind die Songs auf seinem zweiten Album vom Ende einer fünfmonatigen Beziehung inspiriert. Einerseits hört sich das ziemlich traurig an. Anderseits fällt es schwer, nicht zu denken: Ker-ching!
Es sind mehr als 60 Jahre vergangen, seit Frank Sinatra den Kummer seiner in Auflösung befindlichen Ehe mit Ava Gardner in das Meisterwerk In the Wee Small Hours einfließen ließ – und seit damals begleiten und Trennungsalben (breakup albums). Doch selten waren sie kommerziell so erfolgreich wie im letzten Jahrzehnt. So gut wie alle Künstler von Coldplay bis zu Kanye West scheinen eines gemacht zu haben – Taylor Swift scheint nichts anderes zu produzieren. Die beiden kommerziell erfolgreichsten britischen Veröffentlichungen dieses Jahrhunderts sind Trennungsalben: Amy Winehouses Back to Black und Adeles 21, wobei sich letzteres so gut verkaufte, dass es eine Fortsetzung bekam. Als sie einen Nachfolger ihres Riesenhits, von dem mehr als 30 Millionen Stück verkauft wurden, einspielen sollte, widmete sich die nun bereits glücklich verheiratete Sängerin einmal mehr einer gescheiterten Beziehung – wahrscheinlich derselben, die sie zum Vorgänger inspiriert hatte – und schaffte es so, weitere 20 Millionen Alben abzusetzen. Man muss 40 Jahre zurückgehen, bis zu Fleetwood Macs Rumours, um die facettenreichen Sorgen und Kümmernisse einer gescheiterten Beziehung zu finden, die sich in solchen Mengen verkauften. Aber egal, im Meer schwimmen noch viele andere Fische, und außerdem – denk nur an die Verkaufszahlen.
Doch diese Art Zynismus ist schwer aufrechtzuerhalten, wenn man The Thrill of It Alls ehrlich bewegendes textliches Elend hört, gelegentlich mit beißendem Witz gewürzt. Es finden sich zahlreiche bemerkenswerte Zeilen: “Everyone prays in the end.” “I’m going to have to call my sisters … anything to drown you out tonight.” Auf „Midnight Train“ machen typische Trauriges-Lied-Klischees über das Verlassen und das Vermissen der Berührungen des anderen plötzlich rührenden, eindeutig persönlichen Details Platz: “Am I a monster? What will your family think of me? / They brought me in, they helped me out with everything.” Andere Tracks nähern sich der romantischen Verzweiflung aus faszinierenden Richtungen an. „Burning“ befasst sich fast besessen damit, ob man nach einer Trennung mit dem Rauchen beginnen soll, und ist sich dabei bewusst, wie pathetisch dieser Akt von „Rebellion“ erscheint.
In den seltenen Momenten, in denen es den Blick von den Wechselfällen der Liebe löst, widmet sich The Thrill of It All einem für ein Mainstream-Popalbum ebenso untypischen Thema: „Him“ scheint ein Song zu sein in dem Smith versucht Homosexualität mit dem christlichen Glauben in Einklang zu bringen, nachdem er Teile der USA besucht hatte, in denen die Kirche diese beiden Aspekte des menschlichen Lebens nach wie vor als unvereinbar präsentiert. Die Wirkung des Textes wird durch Smith' Stimme verstärkt, die hier deutlich rauer klingt als auf seinem Debütalbum. Gelegentlich krächzt und bricht sie bei den hohen Tönen oder nimmt eine erstickte Qualität an, als wäre er den Tränen nahe. Man nimmt ihm wirklich ab, das er von Kummer und Bedauern mitgenommen ist. Auf „No Peace“, einem Duett mit einer Sängerin namens YEBBA, haben seine Sprünge in die Falsettstimme eine leicht verrückte Unheimlichkeit an sich, die nicht zur kontrollierten Darbietung der Gastsängerin passt.
Das ist ziemlich vollblütiges Zeug, wenn man den Bereich des Mainstream-Pop bedenkt, in dem Smith aktiv ist – nämlich an der Grenze zwischen trendigem Hit und Evergreen. Es ist nur schade, dass sein Gesang und seine Texte von so blasser Musik begleitet werden. The Thrill of It All errichtet seinen Stand zwischen sterilem Retro-Soul – aufgemotzt mit massigem Background-Gesang im Gospelstil und Bläsereinlagen der Dap-Kings, die einst mit Amy Winehouse zusammenarbeiteten - und Coldplay während der X&Y-Ära, was bei den hallenden Gitarren auf „Say It First“ und der Klavierballade „Burning“ besonders deutlich wird. Im Unterschied zu Smith’ Gesang, der echtes Begehren und emotionalen Schmerz vermittelt, klingt die Musik wie ein Faksimile von Soul: die Sounds sind da, aber jede Spur von Mut und Experimentierfreude wurde ausgelöscht. Um fair zu sein, die Songs sind nicht schlecht - „Palace“ und „Midnight Train“ sind ordentliche Nachbildungen des liebeskranken Southern Soul, der in den späten 60ern von den Fame Studios in Alabama aus die Welt eroberte (hätte man die Fame Studios und alle, die sich darin aufhielten, mit gründlich mit Desinfektionsmittel eingesprüht.) -, aber sie leiden unter der routinierten Schalheit der Arrangements. Hier gibt es nichts, was alle, die sich auch nur am Rande für Popmusik interessieren, nicht schon dutzende Male gehört haben.
Das ist schade und eine verpasste Gelegenheit. „The Thrill of It All“ hat eine gewisse Kraft, aber es hätte ein viel wirkungsvolleres Album werden können, hätte man darauf verzichtet, es so sehr auf Hochglanz zu polieren, Doch diese Mängel dürften Smith' Chancen, an den enormen Verkaufserfolg seines Debütalbums In the Lonely Hour anzuschließen, nicht wirklich beeinträchtigen. Wenn Adeles Beiträge zum Kanon der Trennungsalben uns eines gelehrt haben, dann ist es, dass Millionen Menschen in aller Welt nichts dagegen haben, mehr vom selben zu kaufen.
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